Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter September 2023
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Streitiges Recht
5 Ob 181/22m – Zu den Bestimmtheitsanforderungen an das Klagebegehren
Der Kläger begehrt mit seinem Hauptbegehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, sämtliche in Ausnützung der von der Gemeinde […] erteilten baubehördlichen Bewilligung vom 22. 6. 2017, Zl: 3-2437-4/2016, vorgenommenen Umbauarbeiten und Nutzungsänderungen an den allgemeinen Teilen des Hauses und in den Wohnungseigentumsobjekten W6 und Räume 7 zu beseitigen und den vorherigen Zustand wie er im Plan des […], eingelangt bei der BH […] am 7. 8. 1992, dargestellt ist, wieder herzustellen und daraus resultierende Störungshandlungen oder ähnliche derartige Handlungen zu unterlassen. Sowie eventualiter am 26. 2. 2021, die Beklagte zu verpflichten, sämtliche von den übrigen Wohnungseigentümern genehmigungs-pflichtige Umbauarbeiten und Nutzungsänderungen an den allgemeinen Teilen des Hauses und in den Wohnungseigentumsobjekten W6 und Räume 7 im 2. UG des Hauses, welche seit Einlangen des Planes […] am 7. 8. 1992 bei der BH […] vorgenommen worden sind, zu beseitigen und den vorigen Zustand wiederherzustellen, wie er sich aus diesem Plan ergibt.
Nach § 226 Abs 1 ZPO hat die Klage ein bestimmtes Begehren zu enthalten. Das hat zur Voraussetzung, dass dem Begehren der Gegenstand, die Art, der Umfang und die Zeit der geschuldeten Leistung oder Unterlassung zu entnehmen ist (RS0000466). Ein Klagebegehren ist ganz allgemein unbestimmt, wenn ein stattgebendes Urteil nicht Grundlage einer Exekution sein könnte (RS0000799 [T3]; RS0037452 [T3]). Eine (Unterlassungs-)Verpflichtung muss dabei so deutlich gekennzeichnet sein, dass es zu keiner Verlagerung des Rechtsstreits in das Exekutionsverfahren kommt (vgl RS0000878 [T7, T10]). Die Bestimmtheit des Klagebegehrens ist von Amts wegen auch noch im Rechtsmittelverfahren zu prüfen (RS0037469).
Bei einem Begehren auf Beseitigung und Unterlassung eigenmächtiger Änderungen durch einen Wohnungseigentümer hat der Streitrichter – wie erwähnt – die Genehmigungsbedürftigkeit der Änderung und die eigenmächtige Rechtsanmaßung als Vorfrage zu prüfen. Das erfordert für die Bestimmtheit des Klagebegehrens, dass ihm Art und Umfang der Änderungen, die die Beklagte zu beseitigen bzw zu unterlassen hat, eindeutig entnommen werden können. Dazu ist es zwar nicht notwendig, dass alle Indentifizierungsangaben im Begehren selbst erschöpfend wiedergegeben sind; es kann auch auf Urkunden oder auf andere Unterlagen verwiesen werden, wenn diese zu einem Bestandteil des Begehrens gemacht werden (RS0037420). Die Identifizierung der vom Klagebegehren erfassten Änderungen muss aber einwandfrei möglich sein (vgl RS0037420 [T2]).
In diesem Fall hat sich der Kläger auf den am 7. 8. 1992 bei der Bezirkshauptmannschaft eingelangten Plan berufen, den er zum Bestandteil seines Haupt- und Eventualbegehrens gemacht hat, und meint (zusammengefasst), die Beklagte habe den diesem nicht entsprechenden Zustand zu beseitigen und alle weiteren widersprechenden Änderungen und Arbeiten zu unterlassen. Sachlicher Kern seines (Haupt- und Unterlassungs-)Begehrens sei demnach die Beseitigung aller Änderungen an allgemeinen Teilen und in den Wohnungseigentumsobjekten der Beklagten, die seit dem Einlangen des Plans bei der Bezirkshauptmannschaft vorgenommen worden seien.
Nur eine solche Änderung, die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte, bedarf der Zustimmung aller Mitglieder der Eigentümergemeinschaft oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG (vgl RS0083156 [T16]). Ob schutzwürdige Interessen der übrigen Mit- und Wohnungseigentümer berührt sind und damit die Maßnahmen genehmigungsbedürftig sind, kann allein anhand eines Plans, dem lediglich die Lage, Größe und Nutzungsbeschreibung von Räumen zu einem bestimmten Zeitpunkt zu entnehmen sind, nicht beurteilt werden. Entgegen der Annahme des Klägers in seinem Rechtsmittel reicht es nämlich nicht aus, dass im Fall einer Klagestattgebung das Vollstreckungsorgan lediglich einen Vergleich des tatsächlichen Zustands mit jenem laut Plan aus August 1992 vornehmen müsste, um das Urteil vollstrecken zu können. Damit würde nämlich die Klärung der Frage, welche konkrete Änderung schutzwürdige Interessen der übrigen Miteigentümer beeinträchtigen könnte und damit genehmigungsbedürftig ist, unzulässigerweise in das Exekutionsverfahren verlagert. Das Klagebegehren war damit nicht exekutierbar.
3 Ob 115/23 t – Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens
Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt eine Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus, das in der Regel durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich in häufigen Wiederholungen äußert und überdies nach ihrer Art, das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt (RS0070303; RS0067678). Grundsätzlich ist auf das Gesamtverhalten des Gekündigten Bedacht zu nehmen (RS0067519). Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt regelmäßig kein Verschulden des Mieters voraus (RS0070243). Vielmehr kommt es darauf an, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als grob ungehörig und das Zusammenwohnen verleidend angesehen werden muss, und zwar auch dann, wenn dieses Verhalten auf eine geistige Erkrankung zurückzuführen ist (RS0067733). Grundsätzlich ist daher auch eine psychische Beeinträchtigung kein Freibrief für unleidliches Verhalten. Das Verhalten einer geisteskranken Person ist zwar nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich, also für die Mitbewohner unerträglich, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person. Dies ist jedoch nicht dahin zu verstehen, dass die Mitbewohner jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf zu nehmen hätten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird. In solchen Fällen ist eine Interessenabwägung geboten, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (vgl RS0067733 [T4]; 8 Ob 23/11g; 8 Ob 54/21f).
Die Beklagten hatten andere Mieter im Haus wiederholt und geradezu systematisch beschimpft, beleidigt, bedroht und auch strafbarer Handlungen bezichtigt sowie diesen gegenüber unberechtigte und falsche Vorwürfe erhoben. Das Fehlverhalten der Beklagten führte für die Mitbewohner zu einer derart enormen Belastung, dass diese die Wohnung zum Teil nicht mehr über die eigentliche Wohnungstüre, sondern über den Garten verließen, um nicht in Kontakt mit den Beklagten zu gelangen, oder sogar den Entschluss gefasst haben, aus der Wohnung überhaupt auszuziehen. Selbst wenn man den von den Beklagten behaupteten psychischen Beeinträchtigungen (depressiven Störungen und Angststörungen) Krankheitswert unterstellte, könnte die Interessenabwägung daher nicht zu ihren Gunsten ausfallen. Dieses ungebührliche und feindselige Verhalten war in seiner Gesamtheit objektiv geeignet, das friedliche Zusammenleben im Haus zu stören.
Außerstreitiges Recht
5 Ob 27/23s – Lagezuschlag nach § 16 Abs 2 Z 3 MRG
Gemäß § 16 Abs 4 MRG ist ein Lagezuschlag (ua) nur dann zulässig, wenn die Liegenschaft, auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 3 RichtWG). Ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen (RIS-Justiz RS0111204 [T2]). Dazu bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen).
In Wien ist auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS0131812). Maßgeblich für die Beurteilung „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens“ sind unterschiedliche Faktoren und Standorteigenschaften, so etwa die Verkehrsanbindung (öffentlicher Verkehr und Individualverkehr), Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung, kulturelles Angebot, Sport- und Freizeitanlagen, Parks, Grünflächen und Gewässer (also die „Infrastruktur“ im weitesten Sinn). Ein weiteres Kriterium für die Beurteilung der (Über-)Durchschnittlichkeit vor allem einer innerstädtischen Lage ist auch der Umstand, ob die zu beurteilende Liegenschaft – gemessen an vergleichbaren Lagen – eine besondere (Grün-)Ruhelage aufweist oder im Gegenteil über das zu erwartende Ausmaß von Verkehr, Abgasen und Lärm belastet wird. Auch das Image der Wohnumgebung kann in die Beurteilung miteinzubeziehen sein (5 Ob 83/22z mwN). Maßgeblich ist dabei eine Gesamtschau der einzelnen Lagefaktoren.
In diesem Fall liegt das zu beurteilende Eckhaus im 14. Wiener Gemeindebezirk, an der Kreuzung zweier in diesem Bereich stärker befahrenen Straßenzüge. Die vorhandene Infrastruktur (die Anbindung an den öffentlichen Verkehr, zum Gastronomieangebot, zur Versorgung mit Geschäften des täglichen Bedarfs, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen, Gesundheitsversorgung, Sport- und Freizeitanlagen und Parks) betrifft zu einem guten Teil den Bereich des Hietzinger Platzes („1130 Wien, Am Platz“). Die Einrichtungen und Versorgungsmöglichkeiten dort sind nur durch Überquerung des Wienflusses sowie der auf beiden Seiten stark befahrenen Einfahrts- und Ausfahrtsstraßen der Stadt zu erreichen.
Die Berücksichtigung der (jeweils) jenseits des Wienflusses gelegenen Lagemerkmale auszuschließen, überzeugt nur dann, wenn im konkreten Einzelfall die Möglichkeiten der Überquerung tatsächlich eingeschränkt sind, die Erreichbarkeit der auf der anderen Uferseite gelegenen Einrichtungen also erschwert ist und diese daher nach der Verkehrsauffassung die Lage nicht charakterisieren. Die gegebene Distanz von 600 bis 750 m war als nicht mehr fußläufig anzusehen. Die im Nachbarbezirk gelegenen Geschäfte und Lokale befinden sich daher in diesem Fall außerhalb der relevanten Wohnumgebung. Eine erhöhte Beeinträchtigung durch Straßenlärm (von 70–75 dB) schmälert darüber hinaus die Wohnqualität und ist daher bei der Gesamtbetrachtung aller Lagecharakteristika als negative Eigenschaft zu berücksichtigen.
Dr. Iris Mutz
Wien/Klagenfurt, September 2023
WMWP Rechtsanwälte GmbH