Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter September 2024
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Streitiges Recht
4 Ob 113/24g – Zur Aufkündigung, wenn die Wohnung nicht mehr zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder einer eintrittsberechtigten Person (§ 14 Abs. 3) regelmäßig verwendet wird
Die für die Beurteilung der Aufkündigung nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG maßgebliche regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken ist dann anzunehmen, wenn der Mieter oder eintrittsberechtigte Personen die Wohnung wenigstens während eines beachtlichen Zeitraums im Jahr bzw einige Tage in der Woche als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt benützen (RS0068679). Dabei reicht es aus, wenn die Wohnung zumindest in mancher Hinsicht noch Mittelpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit und des Familienlebens des Mieters ist (RS0068874, RS0079241), selbst wenn auch eine andere Wohnung benutzt wird (RS0079252).
In diesem Fall lebte die Beklagte mit ihrem minderjährigen Sohn, zeitweise auch mit ihrer 18-jährigen Tochter in der aufgekündigten Wohnung in Wien. Sie benützt die Wohnung durchschnittlich drei Tage in der Woche, wo sie auch noch ihren Hausstand (Kleidung, persönliche Unterlagen, Dokumente etc) hat. Sie übernachtet etwa vier bis fünf Mal pro Woche in der Wohnung ihres Lebensgefährten, bei dem sie aber nicht eingezogen ist, sondern regelmäßig zurück in ihre Wohnung pendelt. Die Beklagte war vorübergehend wegen der Pflege ihres 94-jährigen Vaters in Deutschland von der aufgekündigten Wohnung abwesend, ebenso auch während der von der Klägerin durchgeführten Umbau- und Sanierungsarbeiten, die die Benutzung der Wohnung wegen der Lärm- und Staubbelastung einschränkten. Eine Verwirklichung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG wurde in diesem Fall nicht als gegeben erachtet.
5 Ob 193/23b – Zur Haftrücklassgarantie
Die Haftrücklassgarantie bezweckt, den Begünstigten (den Beklagten als Käufer) so zu stellen, als ob er die fragliche Summe (den Kaufpreisrest) noch gar nicht aus der Hand gegeben hätte. Sie soll den Gewährleistungsanspruch sichern und somit auch den Anspruch des Käufers auf Verbesserung der mangelhaften Kaufsache (RS0017002; RS0018098). Nach dem Abruf der Garantie sind die Parteien so gestellt, als hätte der Käufer den entsprechenden Teil des Kaufpreises noch nicht gezahlt (6 Ob 140/16f mwN). Der Verkäufer, der wie hier die Klägerin als Garantieauftraggeber die Rückzahlung der zu Unrecht abgerufenen Garantieleistung begehrt, macht im Ergebnis daher nichts anderes als den restlichen Kaufpreis geltend.
Das Leistungsverweigerungsrecht gilt auch zugunsten von Gewährleistungsansprüchen, solange der Veräußerer dem Verlangen nach Verbesserung nicht entsprochen hat. Nur solange ein Verbesserungsanspruch besteht, wird die Fälligkeit des Kaufpreises hinausgeschoben (RS0019929) und dem Schuldner steht zur Sicherung seines Anspruchs auf Verbesserung die Einrede des nicht gehörig erfüllten Vertrags zu (§ 1052 ABGB; RS0018462). Das ist nicht mehr der Fall, wenn die Zahlung des Restkaufpreises nicht mehr verweigert werden kann, weil der Kaufgegenstand nicht mehr mangelhaft ist oder das Recht auf Gewährleistung nicht mehr geltend gemacht werden kann, weil keine rechtzeitige Mängelrüge erfolgte.
6 Ob 68/24d – Eintrittsgeld für den Beitritt zu einer Genossenschaft als Konventionalstrafe
Das vorzeitige Kündigungsrecht des § 29 Abs 2 MRG ist weder verzichtbar noch zu Lasten des Mieters beschränkbar, sodass entgegenstehende vertragliche Kündigungsverzichte, Verschiebungen des Kündigungstermins in die Zukunft, Verlängerungen der Kündigungsfrist und das Vorsehen von Sanktionen, wie etwa Konventionalstrafen für den Fall der vorzeitigen Kündigung, unwirksam sind.
In diesem Sinne wurde ein Eintrittsgeld für die Mitgliedschaft in einer Genossenschaft in der Höhe von EUR 5.000,00 mit der Widmung „[Name]-Beitrittsgebühr Wohnprojekt“ gewertet, dass beim Austritt nicht mehr erstattet werden sollte.
7 Ob 97/24a – Mietzinsminderung aufgrund Schimmelbildung
Im Vollanwendungsbereich des MRG (wie hier) ist der Vermieter zwingend zur Durchführung der in § 3 Abs 2 MRG aufgezählten Arbeiten verpflichtet, insbesondere muss er Instandhaltungsmaßnahmen an der Bestandsache selbst ergreifen, wenn die Behebung von ernsten Schäden des Hauses oder die Beseitigung einer vom Mietgegenstand ausgehenden erheblichen Gesundheitsgefährdung betroffen ist (§ 3 Abs 2 Z 2 MRG; 5 Ob 174/10i; 5 Ob 88/14y; 5 Ob 110/15k; Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 Rz 40 mwN [Stand 1. 5. 2017, rdb.at]). In Abgrenzung zu § 8 MRG, der dem Mieter im Vollanwendungsbereich des MRG bestimmte Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten auferlegt, verbleibt ein sogenannter „Graubereich“, in dem nach dem MRG weder den Vermieter noch den Mieter eine Instandhaltungspflicht trifft. Betroffen vom „Graubereich“ ist die Beseitigung von Schäden an Wänden und am Boden und das Ausmalen (2 Ob 215/10x [Klausel 27]), sofern kein „ernster Schaden“ des Hauses oder eine erhebliche Gesundheitsgefährdung vorliegt (Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 Rz 43 mwN zur Judikatur [Stand 1. 5. 2017, rdb.at]).
Treten im Vollanwendungsbereich des MRG im „Graubereich“ Mängel auf, bleibt die Zinsminderung nach § 1096 Abs 1 Satz 2 ABGB nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs unberührt (5 Ob 17/09z = SZ 2009/23; 3 Ob 234/12a [Punkt 4.] = SZ 2013/28 ua). Der oberflächliche Schimmelbefall ist (noch) kein ernster Schaden des Hauses und konnte auch (infolge entsprechender Negativfeststellungen) keine erhebliche Gesundheitsgefährdung für die beklagten Mieter festgestellt werden konnte, weshalb seine Erhaltungspflicht als Vermieter nach § 3 Abs 2 Z 2 MRG ausscheidet. Nach den getroffenen Feststellungen handelt es sich bei den wiederkehrenden Schimmelbildungen in diesem Fall aber auch nicht mehr nur um bloße „Schönheitsfehler“, sondern finden sich diese sowohl im Bereich des Wohnzimmerfensters und dessen Fensterlaibung, hinter dem Küchenverbau und hinter dem Einbauschrank im Vorraum.
Das regelmäßige Entfernen von Schimmel durch die Beklagten, die regelmäßige Behandlung mit Schimmelschutzmittel sowie das regelmäßige Neuaufbringen von Wandfarbe fällt nicht mehr in die Erhaltungspflicht der beklagten Mieter nach § 8 MRG, weil sich der Schimmel immer neu bildet und regelmäßig entfernt werden muss.
8 Ob 57/24a – Widerrufbarkeit eines aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen – ohne vertragliche Bindung – entstandenen Wohnverhältnisses
Ein dem Familienverhältnis entspringender tatsächlicher Wohnzustand ist nicht nur dann anzunehmen, wenn eine Verpflichtung besteht, anderen Familienangehörigen Wohnung zu geben; vielmehr gibt es zahlreiche aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen entspringende tatsächliche Benützungsgewährungen, die rechtlich nicht geregelt, gegen den Willen des Gewährenden nicht rechtlich durchsetzbar und jederzeit widerrufbar sind (RS0020503; vgl RS0020507). Für die Beurteilung einer schlüssigen Einräumung eines (vertraglichen) Wohnungs-(gebrauchs-)rechts unter Familienangehörigen ist daher ein strenger Maßstab anzulegen (vgl RS0011850 [T5, T14]; RS0011888; 6 Ob 18/18t). Lassen die konkreten Umstände des Falls auf ein solches aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen entstandenes Wohnverhältnis schließen, so ist es – anders als im Fall eines Prekariums zwischen nicht miteinander verwandten Personen (vgl RS0019200; RS0020518 [T2, T3]) – Sache des Benützers der Wohnung, konkrete Umstände darzulegen und zu beweisen, die dagegen einen unzweifelhaften Schluss auf das Vorliegen eines Rechtstitels zur Wohnungsbenützung zulassen (vgl RS0020500 [T3]).
Aus dem bloßen Umstand, dass der Benützer Investitionen vorgenommen hat, ist nicht abzuleiten, es liege eine vertragliche Rechtsgrundlage für die Wohnungsbenützung vor. Derartige Investitionen sind nämlich auch im Rahmen eines ungeregelten, sich aus dem verwandtschaftlichen Naheverhältnis ergebenden tatsächlichen Zustands denkbar (RS0020507; vgl RS0020511).
Dr. Iris Mutz
Wien/Klagenfurt, September 2024
WMWP Rechtsanwälte GmbH