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Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter November 2022

Ihre Experten für Miet- und Wohnrecht


Dr. Iris Mutz

Mag. Michael Achleitner LL.M.

Mag. Martin Mutz LL.M.

 

 


Streitiges Recht

2 Ob 108/22d – Kündigung wegen Eigenbedarfs

Der Vermieter begehrte die gerichtliche Aufkündigung des dem MRG unterliegenden Mietverhältnisses betreffend seine Eigentumswohnung aufgrund Eigenbedarfs (§ 30 Abs 2 Z 8 MRG.

Die gefestigte jüngere Rechtsprechung hält unter Hinweis auf den in § 354 ABGB normierten Grundsatz der freien Verfügbarkeit über das Eigentum und unter Zugrundelegung eines gemäßigteren Verständnisses der Begriffe „Notstand“ und „Existenzgefährdung“ eine Erleichterung der Eigenbedarfskündigung gegenüber der früheren strengen Rechtsprechung für geboten (RS0068227 [T18]; RS0070619 [T4]; 5 Ob 80/20f). In diesem Sinne war die Beurteilung, wonach  die Wohnmöglichkeit der mittlerweile volljährigen Tochter, die beabsichtigt, nach ihrer Rückkehr von einem Praktikum ein Masterstudium zu beginnen bzw für den Fall der Nichtzulassung eine Arbeitsstelle in Vorarlberg zu suchen und mit ihrem Lebensgefährten zusammenzuziehen, gemeinsam mit ihrem Vater und zwei weiteren volljährigen Geschwistern (am Wochenende jeweils mit Lebensgefährten) in einem 140 m² großen Haus, in dem ihr ‒ wie auch den anderen Familienmitgliedern ‒ nur ein eigenes Zimmer zur Verfügung steht und sämtliche Hausnutzer auf lediglich ein Bad angewiesen sind, eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gerechtfertigt.

3 Ob 77/22b – Wirkung des Räumungstitels auch gegenüber dem Unterbestandnehmer

Gemäß § 568 ZPO ist ein infolge Auflösung eines Bestandvertrags über einen Gegenstand nach § 560 ZPO gegen den Bestandnehmer erwirkter Räumungstitel auch gegenüber dem Afterbestandnehmer (Unterbestandnehmer) wirksam und vollstreckbar. Nach Beendigung des Hauptbestandverhältnisses kann der Unterbestandnehmer das aufrechte Unterbestandverhältnis nur gegenüber seinem Vertragspartner, nicht aber auch gegenüber dem Liegenschaftseigentümer, der ihn auf Räumung in Anspruch nimmt, erfolgreich einwenden (vgl RS0062380 [T8]), sofern der Unterbestandnehmer sein Benützungsrecht nicht materiell-rechtlich direkt von der Klägerin ableitet (vgl RS0000907).

5 Ob 207/21h – Maßnahmen der Verwaltung im WEG

Die Beklagte war zu 80/276 Anteilen Miteigentümerin einer Liegenschaft, an der Wohnungseigentum begründet ist. Mit diesen Anteilen ist das ausschließliche Nutzungsrecht an der Wohnung W4 und dem Garagenplatz G3 verbunden. Die restlichen 196/276 Anteile an der Liegenschaft stehen je zur Hälfte im Eigentum von Eigentümerpartnern, einem Ehepaar. Für die Eigentümergemeinschaft ist kein Verwalter bestellt.

Mit Schreiben informierte der Mann die Beklagte über die Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen, übermittelte ihr eine auf Anboten für diese Arbeiten basierende Investitionsvorschau für das Jahr 2020 und setzte sie davon in Kenntnis, dass geplant sei, die Vorhaben mittels Sondervorschreibung zu finanzieren. Mit einem weiteren Schreiben vom forderte er die Beklagte sodann zur Leistung einer (ersten) Sondervorschreibung von 12.000 EUR auf das Rücklagenkonto der Eigentümergemeinschaft auf. Der Sondervorschreibung ging keine Beschlussfassung durch die Miteigentümer voraus. Da die Beklagte den ihr vorgeschriebenen Betrag nicht bezahlte, erteilte der Eigentümerpartner dem Klagevertreter Vollmacht zur Einbringung der Klage. Eine Beschlussfassung durch die Eigentümergemeinschaft ging der Bevollmächtigung sowie der Klageeinbringung nicht voraus.

Der mit Vollmacht seiner Frau in Angelegenheiten der Verwaltung ausgestattete Eigentümerpartner repräsentiert die Mehrheit der Miteigentumsanteile und ist damit zur Vertretung der Eigentümergemeinschaft berufen. Ihm kommt nach allgemeinen Grundsätzen (§ 833 ABGB) damit auch die Stellung als „gesetzlicher“ Verwalter zu. Besteht in einem solchen Fall die Willensbildung in der Eigentümergemeinschaft in seinem Willensakt, richtet sich deren Bekämpfung entweder nach Beschlussrecht, wenn es zu einer fristauslösenden Bekanntmachung gekommen ist, sonst nach § 30 Abs 2 WEG. Solange eine darauf beruhende Maßnahme der ordentlichen Verwaltung nicht auf die eine oder andere Art beseitigt ist, bleibt sie außenwirksam. Der die Mehrheit der Anteile repräsentierende Eigentümerpartner hat dem Klagevertreter damit wirksam Prozessvollmacht erteilt.

5 Ob 60/22t – Zur Teilung einer im Miteigentum stehenden Liegenschaft

Die Streitteile sind Miteigentümer einer Liegenschaft, auf der sich ein 1869 errichtetes Zinshaus mit 23 Wohnungen, drei Geschäftslokalen und zwei Rohdachböden befindet. Die Klägerin begehrte die Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft durch Zivilteilung, in eventu sei die Miteigentumsgemeinschaft durch Realteilung aufzuheben.

Gemäß § 843 ABGB ist die Naturalteilung die Regel und die Zivilteilung die Ausnahme. Das Gesetz räumt der Realteilung damit den Vorrang ein. Die Zivilteilung kommt nur in Betracht, wenn eine Naturalteilung nicht möglich ist. Dies gilt auch für die Aufhebung der Eigentumsgemeinschaft durch Begründung von Wohnungseigentum nach § 3 Abs 1 Z 3 WEG, die eine Sonderform der Naturalteilung bildet (RIS-Justiz RS0106352RS0106351). Im Verfahren über die Teilungsklage ist darüber abzusprechen, ob grundsätzlich die Möglichkeit einer Liegenschaftsteilung durch Begründung von Wohnungseigentum besteht (RS0101774). Ist das der Fall, ist ein Klagebegehren auf Zivilteilung abzuweisen (RS0013236).

Nach ständiger Rechtsprechung hat bei Realteilung jeder Miteigentümer einen Teil von annähernd gleicher Beschaffenheit und gleichem Wert zu erhalten (RS0013851). Dies gilt auch im Fall der Teilung durch Begründung von Wohnungseigentum (RS0013851 [T3]). Der Naturalteilung einer Liegenschaft kommt nach der Rechtsprechung aber auch dann der Vorrang zu, wenn ein Teilstück höherwertiger als ein ideeller Anteil bliebe, sofern der auf Zivilteilung geklagte Miteigentümer mit der Zuweisung des geringerwertigen Teils ohne Verlangen einer Ausgleichszahlung einverstanden ist (RS0126365RS0013838). In einem solchen Fall kommt es dann auch nicht darauf an, dass alle Teilhaber dem Wert nach gleichbehandelt werden müssen und nur geringfügige Wertunterschiede in Geld ausgeglichen werden können (5 Ob 133/14s mwN).

Die mögliche Wertschöpfung durch einen Ausbau des Dachgeschosses steht einer Realteilung durch Begründung von Wohnungseigentum nicht entgegen (5 Ob 109/21x). Die rein faktische Möglichkeit der Verwertung eines Dachbodens hängt nicht von der Art der Teilung ab. Ob eine Zivil- oder Realteilung durch Wohnungseigentumsbegründung erfolgt, verändert ein mögliches Wertschöpfungspotenzial nicht (5 Ob 133/14s).

Unverhältnismäßig hohe Teilungskosten können die Naturalteilung unzulässig machen. Als solche Kosten kommen insbesondere notwendige Umbaumaßnahmen in Frage. Da seit Geltung des WEG 2002 auch an Substandardwohnungen Wohnungseigentum begründet werden kann, sind die Kosten für die Sanierung einzelner Wohneinheiten nicht als Teilungskosten anzuerkennen.

Außerstreitiges Recht

5 Ob 36/22p – „Wichtiges Interesse“ an einer Änderung des Wohnungseigentumsobjekts ist nicht jeder bloße – wenn auch verständliche oder sogar von achtenswerten Motiven getragene – Wunsch.

Der Antragsteller ließ in seinem Wohnungseigentumsobjekt eine Split-Klimaanlage installieren. Die beiden Split-Geräte wurden auf dem direkt über der Wohnung liegenden Rohdachboden, der als allgemeiner Teil der Liegenschaft gewidmet war, aufgestellt und die Kühlleitungen zu den im Wohnungseigentumsobjekt befindlichen Innengeräten über nicht mehr benützte Kaminschächte geführt. Der Antragsteller stellte – gestützt auf § 52 Abs 1 Z 2 WEG iVm § 16 Abs 2 WEG – den Antrag, die Antragsgegner zur Duldung dieser vom Antragsteller vorgenommenen Installation einer Split-Klimaanlage zu verpflichten, und deren Zustimmung zu ersetzen.

Für das Vorliegen eines wichtigen Interesses iSd § 16 Abs 2 Z 2 WEG des Wohnungseigentümers an einer Änderung seines Objekts ist darauf abzustellen, ob die Änderung dazu dient, dem Wohnungseigentümer eine dem heute üblichen Standard entsprechende Nutzung seines Objekts zu ermöglichen (RS0083341 [T18]; RS0083345 [T16]). Zweckmäßigkeitserwägungen oder eine Steigerung des Verkehrswerts des Objekts genügen hingegen für die Annahme eines wichtigen Interesses in der Regel nicht (RS0083341 [T2; T4]; RS0083345 [T1]; RS0110977).

Der Antragsteller hatte zum wichtigen Interesse vorgebracht, dass sich sein unmittelbar unter dem Rohdachboden gelegenes Wohnungseigentumsobjekt ohne Klimaanlage im Sommer derart aufheize, dass es im gesamten Wohnbereich untertags Temperaturen von deutlich über 30 Grad Celsius habe und diese in der Nacht oft kaum absinken. Das Bewohnen der Wohnung sei somit in den Sommermonaten objektiv jedenfalls nach heute üblichem Standard nicht mehr möglich. Nur der Einbau der Split-Klimaanlage ermögliche eine Verminderung der Raumtemperatur im Sommer soweit, dass die Wohnung bewohnt werden könne, insbesondere auch nachts wieder erholsamer und ausreichender Schlaf möglich sei. Der Einbau führe dazu, dass die Wohnung ganzjährig lebenswert bewohnbar sei.

Allgemeinen Erwägungen (Steigerung der Hitzetage mit oft tropischen Nächten im dicht verbauten Stadtgebiet) sind nicht ausreichend, ein konkretes wichtiges Interesse eines Wohnungseigentümers zu begründen. Wie bei der Beurteilung der Verkehrsüblichkeit eines Klimageräts darf auch in Bezug auf das wichtige Interesse aus einer als notorisch angesehenen allgemeinen Klimaentwicklung („Erderwärmung“) nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Wohnungen nachgerüstet werden müssen, um zu Wohnzwecken geeignet zu sein. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel anerkannte der Gesetzgeber zwar das steigende Bedürfnis, allzu hohen Raumtemperaturen von Wohn- und Geschäftsräumen entgegenzuwirken. Dieses Ziel soll aber durch Beschattung, also durch Anbringung von Beschattungsvorrichtungen wie Rollläden, Markisen oder Außenjalousien und „möglichst auch ohne Klimaanlagen“ erreicht werden (RV 1174 XXVII. GP 2 f, 11).

5 Ob 119/22v – Schiedsgutachten als Grundlage für die Mietzinsbildung

Rechtsabändernde Schiedsgutachterverträge übertragen einem Dritten die Aufgabe, ein bestehendes Schuldverhältnis veränderten Umständen anzupassen, was aber noch nicht zu einem echten Schiedsvertrag führt. Der Schiedsgutachter soll aufgrund seiner Sachkunde gewisse Unterlagen und Tatsachen beschaffen und mit bindender Wirkung für die Parteien Feststellungen gewinnen (RS0106358 [T4]). Voraussetzung ist eine Einigung der Parteien auf das Leistungsbestimmungsrecht eines Dritten (RS0106358).

Die Parteien hatten vereinbart:

. Mietzinsevaluierungsvereinbarung

(1) Unabhängig von der Wertsicherungsvereinbarung gemäß vorstehenden Absätzen vereinbaren die Vertragspartner, dass die Vermieterin berechtigt ist, in periodischen Abständen eine Evaluierung des Mietzinses auf Angemessenheit hin vorzunehmen. Erstmals ist dies nach sieben Vertragsjahren, somit ab dem 1. 1. 2014 möglich, sodann jeweils nach weiteren zehn Jahren, wobei diese Frist mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, ab dem der aufgrund dieser Klausel erhöhte Hauptmietzins zu bezahlen ist.

(2) Dies erfolgt dergestalt, dass über Aufforderung der Vermieterin ein Sachverständiger aus dem Immobilienbereich zu bestellen ist, der die Höhe des für den Mietgegenstand dann angemessenen Mietzinses festzustellen hat. Können sich die Vertragspartner über die Person des Sachverständigen nicht einigen, ist diese vom Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Wien zu bestellen.

(3) Ausdrücklich vereinbart wird, dass der vom Sachverständigen als angemessen festgestellte Hauptmietzins ab dem folgenden Monatsersten als geschuldeter Hauptmietzins gilt, für den die Wertsicherungsvereinbarung gemäß vorstehenden Bestimmungen dann analog ebenso anzuwenden ist (mit jeweils neuer Ausgangsbasis).

(4) Eine Mietzinsreduktion für den Fall, dass das Gutachten einen niedrigeren Mietzins ergibt, als zu diesem 

Der Sinn und Zweck dieses Vertragspunktes liegt nach seinem Wortlaut darin, nach bestimmten Zeiträumen (zunächst sieben, dann zehn Jahre) eine Mietzinserhöhung nach einem im Voraus festgelegten Modus zu ermöglichen, wobei ein (neutraler) Sachverständiger aus dem Immobilienbereich den „angemessenen“ Mietzins ermitteln soll, der dann ab dem folgenden Monatsersten als geschuldeter Hauptmietzins gilt. Die Auslegung, damit sei dem Schiedsgutachter die Ermittlung der für die rechtliche Beurteilung des angemessenen Hauptmietzinses iSd § 16 Abs 1 MRG erforderlichen Grundlagen, so insbesondere des marktüblichen oder ortsüblichen Hauptmietzinses nach der Vergleichswertmethode übertragen worden, während die Rechtsfolgen daraus, nämlich die Vereinbarung eines solchen Hauptmietzinses als „angemessen“ unmittelbar aus der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung abzuleiten sind (vgl 2 Ob 236/07f), ist im Einzelfall nicht zu beanstanden

Eine Abweichung von 30 % des Schiedsgutachtens im Vergleich zum Privatgutachten bewirkt (noch) keine qualifizierte Unrichtigkeit (2 Ob 236/07f).

 

Dr. Iris Mutz

Wien/Klagenfurt, November 2022

WMWP Rechtsanwälte GmbH