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Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter November 2019

Ihre Experten für Miet- und Wohnrecht


Dr. Iris Mutz

Mag. Michael Achleitner LL.M.

Mag. Martin Mutz LL.M.

 

Streitiges Recht

3 Ob 138/19v – Zur Rechtsmissbräuchlichkeit einer Räumungsklage wegen titelloser Benützung nach Scheitern von Vergleichsgesprächen

Das Recht des Grundstückseigentümers wird nur durch das Verbot schikanöser Rechtsausübung beschränkt (RS0010395). Grundsätzlich kann der Liegenschaftseigentümer aufgrund seines Eigentumsrechts aber jederzeit die Räumung der Liegenschaft von jedem verlangen, der ihm gegenüber keinen Rechtstitel zu ihrer Inanspruchnahme hat. Dieses Recht ist in der natürlichen Freiheit des Eigentums begründet; seine Geltendmachung allein verstößt nicht gegen die guten Sitten (jüngst 3 Ob 17/19z).
Der Rechtsvertreter der Klägerin hatte der Beklagten in einem Parallelprozess eine allfällige Verlängerung des Mietvertrags (nur) für den Fall einer vergleichsweisen Regelung in Aussicht gestellt, wobei die Gespräche mit einem „völlig offenen Ergebnis“ endeten und die Streitteile zur weiteren Abklärung einfaches Ruhen vereinbarten. Die Erhebung der Räumungsklage nach Scheitern der Vergleichsgespräche ist nicht als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren.

3 Ob 142/19g – In einem wegen Räumung und Zahlung des Mietzinsrückstandes geführten Rechtsstreit ist über den behaupteten Zahlungsrückstand zwingend mit Teilurteil zu entscheiden

Wird ein Rechtsstreit wegen Zahlung eines Mietzinsrückstands und Räumung geführt, ist über den strittigen Mietzinsrückstand grundsätzlich zwingend ein die Nachzahlung des ausstehenden Betrags ermöglichendes Teilurteil zu fällen (RS0111942). Die Unterlassung der Fällung eines Teilurteils stellt einen Verfahrensmangel dar, der gerügt werden muss (RS0111942 [T4]; 1 Ob 176/13h mwN). Die in der Berufung unterlassene Rüge kann in dritter Instanz nicht mehr nachgeholt werden. 

4 Ob 134/19p – Ordnet das Gesetz nicht ausdrücklich an, dass ihm widersprechende Geschäfte nichtig sein sollen, so ist entscheidend, ob der Verbotszweck die Ungültigkeit verlangt oder ob sich die verletzte Norm mit der Verhängung anderer Rechtsfolgen, etwa mit einer Bestrafung begnügt

Von einer Investorin wurde eine Liegenschaft in Salzburg erworben. Sie beauftragte ihren Neffen und den Beklagten mit der Projektabwicklung (Haussanierung). Der Neffe und der Beklagte sollten unbefristete Mietverträge in dem Objekt, mit dem ihre Leistungen im Rahmen der Projektabwicklung in Form vorübergehend verminderter Mietzinse berücksichtigt werden, erhalten. Nach angemessener Abgeltung der Projektleistungen sollte der angemessene Mietzins entrichtet werden. Die Investorin war an einer langen Mietvertragsdauer und einer geringen Mieterfluktuation interessiert. In den Bestandverträgen wurde vereinbart, dass diese jeweils zum 31. Dezember eines jeden Jahres unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist von beiden Vertragsparteien gekündigt werden könne. In weiterer Folge verkaufte die Investorin die Liegenschaft zunächst an den Sohn des Klägers, der diese an den Kläger weiterverkaufte. In den Kaufverträgen wurde jeweils auf die mit den Beklagten bestehenden Mietverträge hingewiesen. Der Kläger begehrte die Räumung der von den Beklagten bewohnten Räumlichkeiten da die Interessen der Investorin durch den Abschluss unbefristeter Mietverträge mit reduzierter Anfangsmiete samt mündlicher Nebenrede über die künftige Anhebung der Mietzinse missachtet worden seien. Durch diese Vorgangsweise sei die Investorin arglistig getäuscht worden; außerdem liege ein Verstoß gegen die guten Sitten iSd § 879 Abs 1 ABGB vor. Der Neffe habe mit seinen Leistungen im Rahmen der Projektabwicklung auch eine unzulässige Nebenbeschäftigung iSd § 63 RStDG ausgeübt, was ebenfalls Nichtigkeit des Mietvertrags begründe.

Das Recht auf Anfechtung eines Vertrags wegen List oder Irrtums steht grundsätzlich nur dem getäuschten Vertragsteil gegenüber seinem Vertragspartner zu (vgl 6 Ob 20/68; 10 Ob 8/08m; vgl auch 3 Ob 66/06m). Darüber hinaus war von dem Erstgericht ausdrücklich festgestellt worden, dass die Investorin an einer langen Mietvertragsdauer und einer geringen Mieterfluktuation interessiert war.

Der Kläger stützte das Räumungsbegehren auch auf die Nichtigkeit des Mietvertrags mit den Beklagten, die aus der Sittenwidrigkeit des „Generalplans“ der Projektabwicklung resultieren soll. Die Sittenwidrigkeit wurde damit begründet, dass der Neffe der Investorin und der Erstbeklagte das Interesse der Investorin an einer sparsamen Sanierung sowie ihren Willen, dass eine Altmieterin im Haus bleibe, missachtet hätten.  Diese Sittenwidrigkeitsgründe betreffen die Geschäftsabwicklung und damit das Auftrags- bzw Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen der Investorin und ihrem Neffen, nicht aber den Mietvertrag mit den Beklagten. Der Abschluss des Mietvertrags mit den Beklagten samt Vereinbarung über die künftige Mietanpassung hatte sich zwar durch das Investitionsvorhaben ergeben, steht aber in keinem zwingenden Zusammenhang mit der Sanierung und kann daher keine Sittenwidrigkeit begründen.

Weiters wurden die Mietverträge mit der Begründung bekämpft, dass der Erstbeklagte seine Nebenbeschäftigung in Bezug auf die Projektabwicklung entgegen § 63 RStDG nicht der Dienstbehörde gemeldet habe. Im Fall einer ordnungsgemäßen Anzeige wäre ihm diese Tätigkeit nicht bewilligt worden. Gemäß § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nichtig. Nichtigkeit infolge Gesetzwidrigkeit ist nach der Rechtsprechung aber nur dann anzunehmen, wenn diese Rechtsfolge entweder ausdrücklich normiert ist oder der Verbotszweck der verletzten Norm die Ungültigkeit des Rechtsgeschäfts notwendigerweise verlangt und sich diese nicht mit der Verhängung anderer Rechtsfolgen, wie beispielsweise mit einer Bestrafung, begnügt (RIS-Justiz RS0016837; RS0016840; 2 Ob 173/12y). Die in § 63 Abs 6 RStDG vorgesehene Meldepflicht über die Aufnahme, die Art und das Ausmaß einer erwerbsmäßigen Nebenbeschäftigung soll die Dienstbehörde in die Lage versetzen, die Nebenbeschäftigung im Fall einer möglichen Behinderung bei der Erfüllung der Dienstpflichten zu untersagen. Eine Verletzung der Meldepflicht ist grundsätzlich als bloße Ordnungswidrigkeit zu beurteilen und daher nur in Ausnahmefällen als Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG zu ahnden (vgl RS0072648). Der dem Erstbeklagten angelastete Verstoß gegen § 63 RStDG zieht aber nicht die Unwirksamkeit des in Rede stehenden Mietvertrags nach sich.

Verstöße gegen standesrechtliche Bestimmungen kann nach dem jeweiligen Verbotszweck Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts begründen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist aber auch in dieser Hinsicht auf den konkreten Inhalt der jeweiligen Vorschrift Bedacht zu nehmen. Die vom Kläger ins Treffen geführten Beispiele aus der Rechtsprechung (6 Ob 553/92: Verstoß einer Honorarvereinbarung gegen § 16 Abs 2 bis 4 RAO; 9 ObA 80/00f: Verstoß gegen § 36 RL-BA 1977 durch einen Vertrag über die Beteiligung eines Rechtsanwaltsanwärters am Unternehmen des Rechtsanwalts; 9 Ob 34/12h: Verstoß gegen das Bankgeheimnis) sind mit der hier zu beurteilenden Meldepflicht nicht vergleichbar.

5 Ob 98/19a – Jeder Mit- und Wohnungseigentümer ist berechtigt, eigenmächtige Eingriffe auch eines anderen Mit- oder Wohnungseigentümers in das gemeinsame Eigentum mit der Eigentumsfreiheitsklage abzuwehren

Der Kläger begehrt von dem Beklagten, das Abstellen und das Parken von Fahrzeugen auf der Allgemeinfläche der Liegenschaft zu unterlassen. Der Beklagte parke seit Monaten ein auf seinen Bruder zugelassenes Kraftfahrzeug ohne Berechtigung durch eine Nutzungsvereinbarung oder einen Mietvertrag auf Allgemeinflächen (auf dem Allgemeinparkplatz). Er sei der Ansicht, die Allgemeinfläche allein benützen zu dürfen, weshalb Wiederholungsgefahr bestehe. Der Kläger sei berechtigt, zur Abwehr eigenmächtiger Eingriffe in das gemeinsame Eigentum Unterlassungsansprüche gegen einen anderen Wohnungseigentümer geltend zu machen. Das Berufungsgericht hatte das Urteil des Erstgerichts einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig aufgehoben und die Rechtssache nach § 838a ABGB in das außerstreitige Verfahren verwiesen. Dagegen richtete sich der Rekurs.

Im Zweifel gehören alle in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Sachen auf den Prozessweg (RS0012214). Für die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs sind zunächst die Klagebehauptungen maßgeblich (RS0005896; RS0005861). Die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs ist hingegen irrelevant (RS0013639). Jeder Mit- und Wohnungseigentümer ist berechtigt, eigenmächtige Eingriffe auch eines anderen Mit- oder Wohnungseigentümers in das gemeinsame Eigentum mit der Eigentumsfreiheitsklage abzuwehren (RS0012137; RS0012112). Solche Klagen gehören nach der Rechtsprechung ungeachtet des § 838a ABGB auf den streitigen Rechtsweg (5 Ob 275/08i [Abstellen von Motorrädern und Dekorationsgegenständen auf allgemeinen Teilen der Liegenschaft durch eine Wohnungseigentümerin und ihren Ehegatten] = RS0013199 [T2]; 9 Ob 18/13g; Sailer in KBB5 § 838a ABGB Rz 3). Die Klage ist aufgrund der vorgebrachten anspruchsbegründenden Tatsachen und dem verfolgten Rechtsschutzziel (Unterlassung der Benutzung von Allgemeinflächen) als Eigentumsfreiheitsklage iSd § 523 ABGB anzusehen.  Zu 9 Ob 18/13g bejahte der Oberste Gerichtshof die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs für die Unterlassungsklage eines Miteigentümers, der einem Miteigentümer verbieten wollte, einen Weg entgegen einer bestehenden Benützungsregelung bzw faktischen Gebrauchsordnung („rechtsmissbräuchlich“ oder „überproportional“) zu befahren. Mit einer derartigen Unterlassungsklage ist das hier erhobene Rechtsschutzbegehren vergleichbar. Das Berufungsgericht hat somit zu Unrecht die Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs und die Nichtigkeit des Urteils und des durchgeführten Verfahrens angenommen.

6 Ob 140/19k – Zum dringenden Wohnbedürfnis des Eintrittsberechtigten nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG

Die Übersiedlung aus einer Innenstadtwohnung ist unzumutbar, weil die Eintrittsberechtigte alleinstehend und in einem (fortgeschrittenen) Alter ist, in dem es schwierig ist, neue soziale Kontakte zu knüpfen. Die Flexibilität der Menschen und deren Anpassungsfähigkeit an eine neue, bisher ungewohnte Wohnumgebung nimmt mit zunehmendem Lebensalter ab. Von einer alleinstehenden Pensionistin kann daher nicht erwartet werden, dass sie die Wohnumgebung, in der sie seit ihrer Geburt wohnt und alle ihre sozialen Kontakte hat, verlässt und sich anderswo ein neues Leben aufbaut.

6 Ob 60/19w – Grobes Verschulden an einem Mietzinsrückstand, welches zu einer Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt

Ob den Mieter, am Zahlungsrückstand ein grobes Verschulden trifft (§ 33 Abs 2 MRG), ist eine Frage, die von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RS0042773 [T1]). Grobes Verschulden setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RS0069304). Für die Beurteilung der Frage, ob den Mieter an der verspäteten Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, ist die Willensrichtung des Mieters, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend (RS0069316 [T2, T11, T12, T14]). Dabei ist es auch zulässig, das Zahlungsverhalten des Mieters vor dem Räumungsprozess zu beurteilen (RS0069316 [T13]). Toleriert werden kann im Allgemeinen nur eine Verspätung von wenigen Tagen oder wegen vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten; häufige Rückstände trotz Mahnung können nur ausnahmsweise nach den Besonderheiten des Einzelfalls eine sonst naheliegende grobe Fahrlässigkeit ausschließen (RS0070310). Zahlt der Mieter den Mietzins nicht, weil er wirtschaftliche Schwierigkeiten hat, so hat er auch zu beweisen, dass er die Schwierigkeiten nicht verschuldet hat (RS0069316 [T8]). Angesichts des schwer planbaren Ablaufs und Ergebnisses eines Scheidungs- und Aufteilungsverfahrens kam es zum Ergebnis, dass der Beklagten – der das Verhalten ihrer Geschäftsführerin zuzurechnen ist (siehe nur Hausmann in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht – MRG³ § 33 Rz 35) – nicht als grobes Verschulden angelastet werden könne, dass sich ihre Geschäftsführerin nicht bereits unmittelbar nach Einleitung des Scheidungsverfahrens um eine Umfinanzierung gekümmert habe.

7 Ob 111/19b – Kündigung wegen erheblich nachteiligen Gebrauchs/ unleidlichen Verhaltens

Ein erheblich nachteiliger Gebrauch vom Mietgegenstand iSd § 30 Abs 2 Z 3 1. Fall MRG liegt vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgte oder auch nur droht (RS0020981, RS0067832, RS0068076, RS0102020), oder wenn durch das nachteilige Verhalten des Mieters wichtige wirtschaftliche oder persönliche Interessen des Vermieters oder anderer Mieter gefährdet werden (RS0020940, RS0021031, RS0070348).

Das Entsorgen von Speiseresten im Restmüll, wodurch massive Geruchsbelästigungen auftraten; das Fortsetzen dieses Verhaltens trotz Aufforderung durch die Vermieterin es zu unterlassen; das Verbinden von durch einen Installateur unterbrochener Rohre und die Wiederinbetriebnahme einer Wasserentnahmestelle trotz ausdrücklichen Hinweises, diese nicht zu verwenden, wodurch weiter Wasser austrat; das Benutzen von Abstellplätzen anderer Mieter, wodurch es laufend zu Beschwerden kam; das Unterlassen der vertraglich vereinbarten Wartung der Lüftung und Therme während der gesamten Bestanddauer und die Weigerung, einen Hauptüberprüfungstermin und eine Befundung durch den Rauchfangkehrer vornehmen zu lassen; stellen einen erheblich nachteiligen Gebrauch des Mietgegenstands dar (zur Verschmutzung und Beschädigung allgemeiner Teile vgl etwa 10 Ob 26/15v; zum sorglosen Umgang mit Wasser vgl RS0070359). Auch das aggressive Auftreten ihres Ehemanns, nach dem Mitarbeiter der Klägerin nicht mehr allein das Bestandobjekt betraten, ist als unleidliches Verhalten iSd § 30 Abs 2 Z 3 2. Fall MRG bewerten (vgl etwa die Nachweise in RS0070303). Verhaltensänderungen nach Einbringung der Aufkündigung haben nur dann Einfluss auf deren Schicksal, wenn der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist (RS0070340; RS0067519 [T3]; RS0067534). Ein bloß mehrere Monate unauffälliges Verhalten des Mieters zwingt allein noch nicht zu einer positiven Zukunftsprognose.

Dr. Iris Mutz

Wien/Klagenfurt, November 2019

WMWP Rechtsanwälte GmbH