Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter März 2018
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Streitiges Recht
3 Ob 214/17t – Geisteskrankheit ist kein Freibrief für unleidliches Verhalten
Ein geistig erkrankter Mieter hatte über längere Zeit täglich massive Lärmbelästigungen durch stundenlanges lautes Geschrei (Schreiattacken) am Gang und in der Wohnung sowie überwiegend in der Nacht lautes Klopfen in der Wohnung, wodurch andere Mieter aus dem Schlaf gerissen wurden, gesetzt. Weiters hatte er die Mitbewohner des Hauses beschimpft. Der Vermieter kündigte daraufhin den Mieter wegen unleidlichen Verhalten im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 2. Fall MRG.
Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 2. Fall MRG setzt kein Verschulden des Mieters voraus (RIS-Justiz RS0070243). Es kommt vielmehr darauf an, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes Verhalten angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückzuführen ist (RIS-Justiz RS0067733). Das Verhalten einer geisteskranken Person ist aber nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich (für die Mitbewohner unerträglich), wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person. Die anderen Bewohner des Miethauses müssen jedoch nicht jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf nehmen. Vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strengerer Maßstab anzulegen ist (RIS-Justiz RS0067733 [T4]).
7 Ob 191/17i – Bewusst provokantes Vorgehen gegen andere Mieter stellt unleidliches Verhalten dar
Der Mieter war Eigentümer eines mittlerweile verstorbenen Rottweilers. Nun hatte er sich einen neuen Hund zugelegt, betreffend dem es bislang noch keine Vorkommnisse gab. Hinsichtlich des Rottweilers gab es jedoch Vorfälle bei denen dieser zwei Kinder durch Bisse verletzt hatte, einen versuchten Angriff auf einen kleinen Hund und die Tötung eines weiteren Hundes. Bewusst provokant stellte er eine Hundeskulptur in Lebensgröße vor seine Wohnungstür, brachte Fotos eines der Hunde mit der Aufschrift „Is there life after death? Please enter and find out!“ oder ein Schild mit der Aufschrift „Achtung Hund“ und der Aufzählung einiger Berufsgruppen samt einer Strichliste, hinsichtlich der Anzahl der bereits attackierten Personen und den handschriftlich hinzugefügt den Worten „Nachbar II, work in progress“, an. Darüber hinaus legte er Tierfutter aus, wodurch es zu Verschmutzungen, Geruchsbelästigungen und der Anlockung von Füchsen und Katzen kam.
Der Tatbestand des unleidlichen Verhaltens im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 MRG wurde als verwirklicht angesehen, da eine Störung des friedlichen Zusammenlebens vorlag, die durch längere Zeit fortgesetzt wurde bzw sich in häufigen Wiederholungen geäußert und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß überstiegen hat. Entscheidend für die Beurteilung ist das Gesamtverhaltens des Mieters, zu dessen Würdigung auch auf länger zurückliegende Ereignisse zurückzugreifen ist (vgl RIS-Justiz RS0070321).
Außerstreitiges Recht
5 Ob 122/17b – Der Einwand, den Mieter selbst treffe die Erhaltungspflicht für von ihm vorgenommene Änderungen des Bestandgegenstandes gemäß § 9 MRG, kann in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 2 iVm § 6 MRG nicht erhoben werden
Der Ehemann der nunmehrigen Mieterin ließ den Lichthof des Hauses im Bereich der Wohnung verbauen und bezog diesen dadurch in die Wohnung ein. In dem Zubau wurde eine ausschließlich elektronisch öffnen bare Lichtkuppel ohne Baubewilligung eingebaut. Da der Öffnungsmechanismus nicht mehr funktionierte, begehrte die Mieterin von dem Vermieter den Tausch des Elektromotors und die Überprüfung der Elektroleitungen und deren allfällige Versetzung in einen ordnungsgemäßen Zustand.
Gemäß § 3 Abs 1 MRG hat der Vermieter nach Maßgabe der rechtlichen, wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten und Möglichkeiten dafür Sorge zu tragen, dass das Haus, die Mietgegenstände und die der gemeinsamen Benützung der Bewohner des Hauses dienenden Anlagen im jeweils ortsüblichen Standard erhalten und erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Bewohner beseitigt werden. Die Erhaltungspflicht erfasst unter anderem auch Arbeiten, die zur Erhaltung allgemeiner Teile des Hauses erforderlich sind. Eine Lichtkuppel ist wie ein Außen- oder Dachflächenfenster allgemeiner Teil des Hauses im Sinne des § 3 Abs 2 Z 1 MRG. Da die Lichtkuppel in ihrer Funktionsfähigkeit und Brauchbarkeit eingeschränkt war, war die Qualifikation als Erhaltungsarbeit im Sinne des § 3 MRG gegeben.
Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes stehen dem Vermieter gegen den Auftrag zur Durchführung von Erhaltungsarbeiten nur Einwendungen zu, die sich aus den gesetzlichen Regelungen über die Erhaltungspflicht nach § 3 MRG ableiten lassen (5 Ob 237/16p, 5 Ob 181/16b mwN; RIS-Justiz RS0117706). Einwendungen, die auf Vereinbarungen gestützt sind, sind im Außerstreitverfahren zur Durchsetzung der Erhaltungspflicht des Vermieters nicht zu prüfen. Sie sind grundsätzlich auf dem streitigen Rechtsweg geltend zu machen (5 Ob 181/16b mwN). Der Einwand, den Mieter selbst treffe die Erhaltungspflicht für von ihm vorgenommene Änderungen des Bestandgegenstandes gemäß § 9 MRG, kann in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 2 iVm § 6 MRG nicht erhoben werden (5 Ob 237/16p, 5 Ob 181/16b mwN). Auch Fragen der Verursachung und des Verschuldens sind in einem Verfahren zur Durchsetzung der Erhaltungspflicht des Vermieters betreffend allgemeiner Teile des Hauses nach § 3 Abs 2 Z 1 MRG grundsätzlich nicht zu prüfen (RIS-Justiz RS0069992 [T7], RS0069294 [T1]). Ein allenfalls erforderlicher Interessenausgleich zwischen Verursacher und erhaltungspflichtigen Vermieter lässt sich über das Schadenersatzrecht (den streitigen Rechtsweg) herstellen (5 Ob 69/17h, 5 Ob 237/16p; RIS-Justiz RS0069992 [T6], RS0069294 [T4]). Grund dafür ist, dass die Erhaltungspflicht des Vermieters allen Benützern des Hauses und der Allgemeinheit zu Gute kommt. Daher ist es für die Frage der gesetzlichen Erhaltungspflicht des Vermieters nach § 3 Abs 2 Z 1 und 2 MRG und deren Durchsetzung grundsätzlich nicht maßgeblich, ob die zu erhaltenden Gebäudeteile und Einrichtungen von dem Vermieter geschaffen wurden oder von einem Mieter (Kothbauer aaO, immolex 2017, 196, sa 5 Ob 181/16b).
5 Ob 74/17v – Der Lagezuschlag
Bei der Berechnung des Richtwertmietzinses nach § 16 Abs 2 MRG sind im Vergleich zur mietrechtlichen Normwohnung entsprechende Zuschläge zum oder Abstriche vom Richtwert für werterhöhende oder Wert vermindernde Abweichungen vom Standard der mietrechtlichen Normwohnung nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens vorzunehmen. Einer der in § 16 Abs 2 Z 1 bis 5 MRG taxativ aufgezählten Umstände (5 Ob 164/09t), die zu Zuschlägen oder Abstriche vom Richtwert führen können, ist die Lage (Wohnumgebung) des Hauses in der die Wohnung gelegen ist (Z 3).
Ein Lagezuschlag iSd § 16 Abs 2 Z 3 MRG ist (nur) dann zulässig, wenn die Liegenschaft auf der sich die Wohnung befindet, eine Lage aufweist, die besser ist als die durchschnittliche Lage (§ 2 Abs 2 RichtWG). Dem Mieter müssen die für den Lagezuschlag maßgeblichen Umstände in Schriftform bis spätestens beim Zustandekommen des Mietvertrages ausdrücklich bekannt gegeben worden sein (§ 16 Abs 4 MRG). Dafür ist ausreichend, dass die den Wohnwert eines Hauses beeinflussenden Kriterien schlagwortartig angeführt werden (RIS-Justiz RS0111201 [T2], RS0111820 [T3]). Beispielsweise reichen die Hinweise auf die gute Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, eine gute Infrastruktur und/oder Grünruhelage aus (5 Ob 18/17 mwN). Die Berechnungsmethode für die Höhe des Lagezu- oder –abschlags regelt § 16 Abs 3 MRG und hat keine Aussagekraft darüber, ob überhaupt ein solcher zu gewähren ist. Die Beurteilung dieser Frage richtet sich nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens. Für die Berechnung der Höhe des Lagezuschlags selbst ist die Ermittlung des üblichen Grundpreises für in der Lage unbebaute aber für Wohnbauten geeignete Grundstücke erforderlich und die Umlegung dieser Preise auf die unter Berücksichtigung der Bauvorschriften erzielbaren Wohnnutzflächen. Von der Differenz der errechneten und dem der Richtwertfestsetzung zugrunde gelegten Grundkostenanteil bilden 0,33 % des Lagezu- oder abschlags (RIS-Justiz RS0114795). Daraus ergibt sich, dass sich ein Lagezuschlag nur dann ergeben kann, wenn das lagetypische Grundpreisniveau höher liegt als jenes, das dem jeweiligen Richtwert zugrunde liegt.
Bei Wohnungen die im Zeitpunkt des Abschlusses der Mietzinsvereinbarung in einem Haus bzw. Stadtteil oder Bezirk gelegen sind, welche zu mehr als 50 % aus Gebäuden bestehen, die in der Zeit von 1870-1917 errichtet wurden und die damals im Zeitpunkt ihrer Errichtung überwiegend kleine Wohnungen der Ausstattungskategorie D („Gründerzeitviertel“) enthielten, werden als höchstens durchschnittliche Lagen eingestuft. Jegliche Lagen außerhalb eines solchen Gründerzeitviertel sind im Umkehrschluss aber nicht bereits überdurchschnittlich (5 Ob 188/14d, 5 Ob 199/98w). Über andere Lagen wird damit nichts ausgesagt (RIS-Justiz RS0111204).
5 Ob 199/17a – Das Vorliegen einer Baubewilligung für ein Änderungsvorhaben hat keine Aussagekraft betreffend eine Duldungspflicht der anderen Wohnungseigentümer
Der Antragsteller hatte das als Geschäftsraum gewidmete Objekt GR2, dem ein im Keller gelegener Raum als Lager zugeordnet war, von der Voreigentümerin mit der Absicht gekauft, das Objekt in eine Wohnung umzuwidmen und umzubauen. Diese Umbauarbeiten wurden mit Baubescheid bewilligt und weit gehend bereits durchgeführt. Im Zuge dessen wurde der im Keller befindliche Lagerraum in eine Garage umgestaltet und die räumliche Verbindung zur eigentlichen Wohnungseigentumseinheit beseitigt. Der Antragsteller begehrte nunmehr die Duldung der beabsichtigten Umbauarbeiten durch die anderen Wohnungseigentümer, die wohnungseigentumsrechtliche Teilung der Wohnung und der Garage sowie die Änderung der Widmung des Lagers in eine Garage.
Aufgrund der mit den Bauarbeiten verbundenen Unterschreitung der Mindestbreite eines Durchgangs, der zur in das Kellergeschoss führenden Stiege hin führte und gleichzeitig einen Fluchtweg darstellt, wurde von einer Gefährdung (Brandfall, Notwendigkeit des Begehens durch benachteiligte Personen mit zB Rollstuhl) der anderen Bewohner des Hauses und einer Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen der anderen Miteigentümer ausgegangen. Die Änderungen könnten weiters kein wichtiges Interesse begründen, da die Umgestaltung nicht über die Wertsteigerung des Objekts hinausginge, welches für die Begründung eines wichtigen Interesses nicht ausreiche. Auch wurde die Verkehrsüblichkeit der geplanten Umwidmung und Umgestaltung des Lagerraums in eine Garage verneint.
5 Ob 198/17d – Der Vormieter darf Erhaltungsarbeiten, die er über einen erhöhten Mietzins nach §§ 18ff MRG mitfinanziert hat, nicht auf den Nachmieter überwälzen
Der Nachmieter hatte dem Vormieter für eine Zentralheizanlage, Beleuchtungskörper, Wachbecken, Abwasch, acht Vorhänge samt Karniesen, Industriekunststoffboden und zwei Holzstellagen eine Ablöse in der Höhe von EUR 4.000, — gezahlt. Diese Ausstattung hatte aber lediglich einen Zeitwert in der Höhe von EUR 478,08.
Rund ein halbes Jahr später begehrte der Nachmieter die Zurückzahlung der an den Vormieter erbrachten Zahlung als verbotene Ablöse gem § 27 MRG. Der Vormieter wandte ein, dass er für Fenstern und Wärmeschutzfassade zuvor als Mieter insgesamt EUR 28.000,- in die Wohnung investiert habe. Diese Arbeiten haben Erhaltungsarbeiten im Sinne des § 3 MRG dargestellt, zu dessen Bezahlung der Mieter aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung in einem §§ 18f MRG-Verfahren mit erhöhtem Hauptmietzins verpflichtet war. Diese Zahlungen erfolgten nicht freiwillig und stellen keine freiwilligen Investitionen in das Bestandsobjekt dar, die Gegenstand einer Ablöse im Sinne des § 10 MRG sind.
Dr. Iris Mutz
Wien/Klagenfurt, März 2018
WMWP Rechtsanwälte GmbH