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Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter Dezember 2020

Ihre Experten für Miet- und Wohnrecht


Dr. Iris Mutz

Mag. Michael Achleitner LL.M.

Mag. Martin Mutz LL.M.

 

 


STREITIGES RECHT

4 Ob 150/20t – Nachteiliger Gebrauch bei Verweigerung des Zutritts zum Bestandgegenstand?

Die von der Beklagten gemieteten Räumlichkeiten, in denen sie ein Tanzstudio betreibt, befinden sich im Erdgeschoss und im 1. Stock des Hauses.

Im Haus gibt es unterschiedliche Deckentypen. Im Rahmen einer Begutachtung ergaben sich Fehler bei früheren Umbau- und Sanierungsarbeiten, die zu statischen Mängeln führten. Über Empfehlung des beauftragten Statikers wurden die Decken im Haus, mit Ausnahme jener oberhalb des Tanzstudios, überprüft und die festgestellten statischen Mängel saniert. Im Anschluss daran empfahl der Statiker, auch die Decken oberhalb des Tanzstudios zu überprüfen, um sicher zu gehen, dass dort keine Mängel bestehen. Er hielt solche Mängel für wahrscheinlich; Gefahr im Verzug bestand nicht.

Bei einer Besprechung wurde der Geschäftsführer der Beklagten darüber informiert, dass auch einige Probeöffnungen im Deckenbereich der Tanzschule geplant seien, um Gewissheit über die tatsächliche Ausführung zu erlangen. Dieser Maßnahme wurde von dem Beklagten nicht zugestimmt, weil eine Deckenöffnung „von oben“ wesentlich einfacher und schonender sei.

Die Vermieterinnen kündigten das Mietverhältnis gegenüber dem Beklagten sodann aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG (erheblich nachteiliger Gebrauch) wegen Verweigerung des Zutritts und willkürlicher Behinderung der Sanierung auf.

Ein erheblich nachteiliger Gebrauch im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 erster Fall MRG liegt dann vor, wenn durch eine wiederholte, länger währende vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts oder durch eine längere Reihe von Unterlassungen notwendiger Vorkehrungen eine erhebliche Verletzung der Substanz des Mietgegenstands erfolgt oder droht (RS0068076RS0020981).

Bei Verweigerung des Zutritts zum Mietgegenstand durch den Mieter wird der in Rede stehende Kündigungsgrund nur ausnahmsweise, vor allem im Fall einer akuten Gefahrensituation, wie etwa einer aktuellen Gefährdung für die Bausubstanz, verwirklicht (RS00684245 Ob 128/12b1 Ob 112/15z).

In diesem Fall wurde aber gerade keine Gefahr im Verzug festgestellt. Unter diesen Voraussetzungen ist der für eine Kündigung erforderliche Schweregrad der Verweigerung des Zutritts zum Bestandgegenstand – selbst bei von einem Statiker für wahrscheinlich gehaltenen statischen Mängeln – nicht erreicht.

Zur Klärung der Frage, ob der Beklagte die in Aussicht genommenen Deckenöffnungen dulden muss, sind die Klägerinnen auf ein Verfahren nach § 8 Abs 2 MRG verwiesen worden.

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5 Ob 131/20f – Zum Teilungshindernis der Unzeit

Der Kläger begehrt die Realteilung der unbebauten Liegenschaft. Der Beklagte berief sich auf das Teilungshindernis der Unzeit. Der Kläger sei nur formell im Grundbuch als Hälfteeigentümer eingetragen, materiell jedoch nicht der Miteigentümer. Die Liegenschaft sei gekauft worden, um einen Zweit- oder Alterswohnsitz für die Mutter des Beklagten, deren Bruder (Kläger) und den Beklagten zu begründen. Der Beklagte und dessen Mutter hätten den Erwerb finanziert und dem Kläger den Kaufpreis zum Erwerb des Hälfteanteils kreditiert. Der Kläger habe sich verpflichtet, den zunächst kreditierten Betrag an den Beklagten oder an dessen Mutter zurückzuzahlen oder den Hälfteanteil dem Beklagten oder dessen Mutter unentgeltlich (rück-)zuübertragen. Die unklare und strittige Rechtslage über die wahren Eigentumsrechte bewirke kein dauerndes, sondern ein zeitlich beschränktes Teilungshindernis. Der Kläger habe über Aufforderung seine Liegenschaftshälfte nicht übertragen, weshalb der Beklagte (nach Anhängigkeit des Teilungsverfahrens) die Herausgabe der Liegenschaftshälfte gerichtlich gefordert habe.

Nach der Rechtsprechung muss sich der in einem anderen Prozess erfolgreich verfolgte Anspruch derart auf das Eigentumsrecht der Partei im Teilungsverfahren auswirken, dass mit dem klagestattgebenden Urteil die Grundlage für das Teilungsbegehren wegfällt.

Einen derartigen Anspruch verfolgt der Teilungsbeklagte hier mit seiner Klage, in der er gestützt auf vertragliche Vereinbarungen vom Teilungskläger die Herausgabe dessen Hälfteanteils, in eventu die Einwilligung in die Einverleibung seines Hälfteeigentums begehrte.

Eine Klage, deren Stattgebung die Grundlage für den Teilungsanspruch beseitigt, muss nicht zwingend vor Streitanhängigkeit des Teilungsprozesses eingebracht werden, um das Teilungshindernis der Unzeit zu begründen. In beiden Fallvarianten (Einbringung einer Herausgabeklage vor und nach Streitanhängigkeit des Teilungsprozesses) ist darauf abzustellen, ob das klagestattgebende Urteil die Eigentumsverhältnisse der Parteien des Teilungsprozesses – unabhängig von dem zum Zeitpunkt der Streitanhängigkeit der Teilungsklage noch bestehenden aufrechten Grundbuchsstand – klärt und bei künftiger Vereinigung des Eigentums in der Hand des oder der Teilungsbeklagten der Teilungsklage die Grundlage nimmt.

Entscheidend ist nur, ob das Teilungshindernis der Unzeit in absehbarer Zeit wegfallen wird. Für diese Beurteilung macht es nicht zwingend einen Unterschied, ob der Rechtsstreit vor Streitanhängigkeit des Teilungsprozesses oder (unter Umständen nur kurz) danach eingeleitet wird. Versuche eines Teilungsbeklagten, ein Teilungshindernis durch Einbringung einer Herausgabeklage zu konstruieren, setzt die Rechtsprechung ohnehin Grenzen, indem sie fordert, dass das Verfahren weder offenbar mutwillig noch aussichtslos sein darf. Diese Voraussetzung ist im Teilungsprozess zu prüfen.

Im vorliegenden Fall stellt sich der Kläger nicht auf den Standpunkt, dass die nach Streitanhängigkeit des Teilungsprozesses eingebrachte Herausgabeklage mutwillig oder aussichtlos sei. Das Teilungshindernis der Unzeit kann daher auch vorliegen, wenn der Teilungsbeklagte nach Streitanhängigkeit des Teilungsprozesses den Teilungskläger auf Herausgabe dessen Miteigentumsanteils und/oder auf Einwilligung in die Einverleibung des Miteigentumsrechts klagt und das allenfalls stattgebende Urteil dem Teilungsanspruch die Grundlage entzieht.

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5 Ob 160/20w – Haftung der Eigentümergemeinschaft für das Fehlverhalten des Hausbesorgers

Die klagende Mieterin eines Wohnungseigentumsobjekts stürzte beim Verlassen des Hauses auf einem vereisten Stiegenaufgang. Sie begehrt Schadenersatz von der beklagten Eigentümergemeinschaft.

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haftet die Eigentümergemeinschaft Wohnungseigentümern (und deren Mietern) deliktisch für ein Fehlverhalten des Hausbesorgers bei Durchführung des Winterdienstes (Räum- und Streupflicht), wenn der Hausbesorger in diesem Aufgabenbereich mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet und daher als Repräsentant der Eigentümergemeinschaft anzusehen war (5 Ob 76/12f = immolex 2012/110, 348 [Limberg] = ZVR 2013/221, 398 [kritisch Huber]; 5 Ob 37/19f = ZVR 2020/87, 174 [kritisch Huber] mit ausführlicher Darstellung von Judikatur und teils kritischer Lehre).

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6 Ob 163/20v – Abgehen von der vereinbarten Schriftform sowie einer gesonderten Nutzungsvereinbarung

Zwischen den Parteien war strittig, ob das zu räumende Objekt vom Beklagten angemietet worden war.

Nach den Feststellungen wurde bei Abschluss des Mietvertrags über eine hier nicht gegenständliche Wohnung vor Jahren vereinbart, dass dem Beklagten bei Vorliegen einer Verzichtserklärung aller Mieter auch das Benützungsrecht an der Waschküche zustehe, wozu eine gesonderte Benützungsvereinbarung getroffen werden sollte. Der Beklagte nutzt die Waschküche seit Jahrzehnten alleine als Abstellraum. 1997 informierte die Hausverwaltung die Mieter schriftlich darüber, dass sich im Jahr 1981 sämtliche Mieter mit dem Wegfall der Waschküche einverstanden erklärt hätten, wobei der beigeschlossenen Unterschriftenliste zu entnehmen war, dass nicht alle Mieter Verzichtserklärungen abgegeben hatten. Nach dem Klagevorbringen bekundeten erst im Jahr 2018 andere Mieter Interesse an der Nutzung als Waschküche.

Bei dieser Sachlage begründet es keine Fehlbeurteilung, wenn die schlüssige Ausweitung des Mietvertrags des Beklagten auf den Raum der Waschküche angenommen wurde, weil nicht nur von der vereinbarten Schriftform (vgl RS0014378), sondern auch vom Erfordernis einer gesonderten Nutzungsvereinbarung einverständlich abgegangen werden kann.

AUSSERSTREITIGES RECHT

5 Ob 126/20w – Bei der Beurteilung, ob materielle Rechtskraft vorliegt, ist entscheidend, ob gegenüber jenem Sachverhalt, welcher für die frühere Entscheidung maßgeblich war, eine Änderung eingetreten ist

Die Antragsteller als Vermieter einer Wohnung begehrten von der Antragsgegnerin den Rückbau von Veränderungen der Wohnung. Die Antragsgegnerin habe die Veränderungen ohne Zustimmung der Antragsteller durchgeführt. Ihr Antrag, die Zustimmung der Vermieter zur Vornahme dieser Veränderungen zu ersetzen, sei bereits im Außerstreitverfahren rechtskräftig abgewiesen worden. Auch der Antrag der Antragsgegnerin, auszusprechen, dass für die von ihr in der gemieteten Wohnung durchgeführten Arbeiten keine Einwilligung der Vermieter erforderlich sei, in eventu, dass die Einwilligung hiezu ersetzt werde, hatte das Erstgericht wegen entschiedener Rechtssache rechtskräftig zurückgewiesen. Dennoch habe die Antragstellerin die vorgenommenen Veränderungen nicht rückgebaut.

Die Antragsgegnerin bestritt die Zulässigkeit des außerstreitigen Rechtswegs und brachte vor, dass die Antragsteller mit zivilrechtlich bindender Vereinbarung den Umbauarbeiten zugestimmt hätten, es lägen sämtliche Voraussetzungen für die Ersetzung der Zustimmung des Vermieters nach § 9 MRG vor.

Im Verfahren außer Streitsachen ergangene Entscheidungen sind der materiellen Rechtskraft teilhaftig und entfalten daher die aus dieser folgende Einmaligkeits- und Bindungswirkung (RS0007171 [T13]). Liegt bereits eine rechtskräftige Entscheidung vor, so kann über dieselbe Sache zwischen denselben Parteien nicht mehr entschieden werden (RS0007477 [T3]; 5 Ob 47/17y). Die materielle Rechtskraft äußert sich als zur Zurückweisung des später gestellten Antrags führende Einmaligkeitswirkung aber nur dann, wenn und insoweit die Begehren deckungsgleich (ident) sind (RS0007201 [T2]), wobei der Verfahrensgegenstand (der Rechtsgrund) durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vorgebrachten Tatsachen (Sachverhalt) bestimmt wird (RS0039255RS0039347).

Das Begehren der Antragsteller ist auf Entfernung derjenigen Umbauten gerichtet, die die Antragsgegnerin zum Gegenstand der Vorverfahren gemacht hatte und hinsichtlich der ihr Begehren, die Zustimmung der Vermieter zu ersetzen, ab- bzw zurückgewiesen wurde. Damit steht das von der Antragsgegnerin noch im Revisionsrekursverfahren verfolgte Ziel, die Voraussetzungen des § 9 Abs 1 MRG neuerlich zu ihren Gunsten zu prüfen, in einem Unvereinbarkeitsverhältnis, weil der rechtskräftig entschiedene Anspruch in diesem Umfang eine Vorfrage für das nunmehr über Antrag der Vermieter eingeleitete Verfahren bildet. Insoweit greift zwar nicht die Einmaligkeitswirkung, wohl aber die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft ein (6 Ob 3/19pKlicka aaO Rz 50), sodass die Vorinstanzen die Frage der Verkehrsüblichkeit und des wichtigen Interesses an der Durchführung der Arbeiten im Sinn des § 9 Abs 1 MRG entgegen der Ansicht der Revisionswerberin zu Recht nicht neuerlich geprüft haben und von einer Bindung an die im Verfahren AZ 5 MSch 40/12x des Erstgerichts ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 57/14y ausgegangen sind.

Die Antragsgegnerin hat sich im Verfahren erster Instanz aber auch darauf berufen, dass zwischen den Streitteilen eine zivilrechtlich bindende Vereinbarung bestehe, die sie berechtige, Umbauten in der Wohnung vorzunehmen, weil die Wohnung in einem unbewohnbaren Zustand angemietet worden sei. Danach soll ihr erlaubt gewesen sein, Umbauarbeiten nach ihrem persönlichen Geschmack und den persönlichen Erfordernissen durchzuführen. Die Vorinstanzen haben sich mit diesem Vorbringen unter Berufung auf die Bindungswirkung der Entscheidung im Vorverfahren AZ 5 MSch 40/12x des Erstgerichts nicht auseinandergesetzt. Tatsachen, die in dem für die Entscheidung (des Vorverfahrens) maßgeblichen Zeitpunkt bereits entstanden gewesen, aber nicht vorgebracht worden seien, könnten die Rechtskraft nicht durchbrechen. Dies ist unzutreffend, sodass die Antragsgegnerin im Ergebnis berechtigt eine sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens aufzeigt.

Ansprüche des Mieters gemäß § 9 MRG auf Duldung von Veränderungen des Mietgegenstands oder Abgabe von Erklärungen in diesem Zusammenhang sind gemäß § 37 Abs 1 Z 6 MRG ebenso in das Verfahren außer Streit verwiesen, wie die Geltendmachung der korrespondierenden Ansprüche des Vermieters auf Unterlassung der Veränderung oder Wiederherstellung des früheren Zustands (6 Ob 229/11mWürth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht23 § 37 MRG Rz 15; T. Klicka in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht³ § 37 MRG Rz 31; Kulhanek in Böhm/Pletzer/Spruzina/Stabentheiner, GeKo Wohnrecht I § 37 MRG Rz 44 je mwN). Demgegenüber lösen Ansprüche aus konkret bindenden Absprachen über die in § 9 MRG angeführten Rechte und Pflichten die Zulässigkeit des Rechtswegs aus, wenn sie nicht ohnedies den im Gesetz genormten Inhalt eines jeden Mietvertrags entsprechen (RS0114143 [T3]). Kann sich der Anspruchsberechtigte sowohl auf eine Vereinbarung als auch auf das Gesetz stützen, muss er sich bei der Wahl der Verfahrensart entscheiden, woraus er sein Begehren ableiten will (4 Ob 322/98aKlicka aaO § 37 MRG Rz 17; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 37 MRG Rz 5; Kulhanek aaO § 37 MRG Rz 10).

Die von der Antragsgegnerin im nunmehrigen Verfahren behauptete Vereinbarung geht über den gesetzlichen Duldungsanspruch des § 9 MRG hinaus. Daraus abgeleitete Ansprüche sind auf den streitigen Rechtsweg verwiesen und hätten in dem von der Antragsgegnerin gemäß § 9 iVm § 37 Abs 1 Z 6 MRG eingeleiteten Verfahren daher auch nicht auf ihre Richtigkeit geprüft werden können. Ihrer Behauptung, sie sei aufgrund einer zivilrechtlich bindenden Vereinbarung zur Veränderung des Mietgegenstands berechtigt gewesen, kann damit entgegen der Ansicht der Vorinstanzen die der Rechtskraft der Entscheidung aus dem Vorverfahren AZ 5 MSch 40/12x innewohnende Bindungswirkung nicht entgegengehalten werden.

Vorfragen muss der Außerstreitrichter auch dann selbst prüfen, wenn sie als selbständiger Antragsgegenstand im Streitverfahren zu behandeln wären (siehe nur RS0131141 [T2]; RS0114595 [T2]; Klicka aaO § 37 MRG Rz 11; Würth/Zingher/Kovanyi aaO § 37 MRG Rz 4; Kulhanek aaO § 37 MRG Rz 9).

Ob die Antragsgegnerin als Mieterin aufgrund einer bindenden Vereinbarung berechtigt war, die Wohnung nach ihren Vorstellungen umzubauen, ist als Vorfrage im vorliegenden Verfahren zu prüfen, weil davon die Berechtigung des von den Vermietern erhobenen Beseitigungsbegehrens abhängt. Da darüber noch nicht bindend abgesprochen wurde, haben die Vorinstanzen ein Beweisverfahren über diese Frage zu Unrecht abgelehnt.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben; die Sache war an das Erstgericht zurückzuverweisen, das Beweise über die von der Antragsgegnerin behauptete Vereinbarung aufzunehmen haben wird.

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5 Ob 130/20h – Keine analoge Anwendung der aktorischen Kaution auch im Außerstreitverfahren

Der antragstellende Mieter begehrte die Feststellung der Höhe der zurückzuzahlenden Kaution (die insgesamt nur 4.440 EUR betrug). Der Vermieter beantragte als Verfahrensvoraussetzung hierfür einen Betrag von € 10.000,00, somit mehr als das Doppelte des in Rede stehenden Kautionsbetrags, da der Mieter seinen gewöhnlichen Aufenthalt in die USA verlegt habe, wenn die Entscheidungen österreichischer Gerichte über den Ersatz von Prozesskosten im Aufenthaltsbundesstaat des Antragstellers nicht vollstreckt werden können. Dass damit für den antragstellenden Mieter der Zugang zum Recht nicht erleichtert, sondern deutlich erschwert werden würde, liegt auf der Hand, selbst wenn das Gericht an die Höhe des begehrten Betrags nicht gebunden wäre.

Weder § 78 AußStrG noch § 37 Abs 3 Z 17 MRG enthalten einen Verweis auf die Bestimmungen der ZPO über die Sicherheitsleistung für Prozesskosten nach §§ 57 ff ZPO. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmungen ist jedenfalls für das wohnrechtliche Außerstreitverfahren mangels planwidriger Lücke abzulehnen.

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5 Ob 137/20p – Zur Auslegung des § 2 Abs 3 RichtWG

§ 2 Abs 3 RichtWG lautet: „Die durchschnittliche Lage (Wohnumgebung) ist nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und der Erfahrung des täglichen Lebens zu beurteilen, wobei eine Lage (Wohnumgebung) mit einem überwiegenden Gebäudebestand, der in der Zeit von 1870 bis 1917 errichtet wurde und im Zeitpunkt der Errichtung überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen (Wohnungen der Ausstattungskategorie D) aufgewiesen hat, höchstens als durchschnittlich einzustufen ist.“

Die wörtliche (grammatikalische) Auslegung dieser Regelung ergibt, dass sich das Kriterium des Überwiegens von „Wohnungen der Ausstattungskategorie D“ auf den Gebäudebestand, der in den Jahren von 1870 bis 1917 errichtet wurde (Gründerzeit) bezieht. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der Gebäudebestand der Wohnumgebung mehrheitlich (überwiegend) aus Häusern besteht, die in den Jahren von 1870 bis 1917 errichtet wurden. Dabei ist der aus dieser Zeit stammende Gebäudebestand zum Gesamtgebäudebestand bei Abschluss des Mietvertrags in Beziehung zu setzen. Überwiegt der in den Jahren 1870 bis 1917 errichtete Gebäudebestand der Wohnumgebung, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob dieser gründerzeitliche Gebäudebestand bei Errichtung überwiegend Wohnungen der Ausstattungskategorie D aufwies. Trifft beides zu, ist die Lage nicht besser als durchschnittlich einzustufen.

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5 Ob 140/20d –Ausstattungskategorien und Lagezuschlag

Die Ausstattungskategorien A und B verlangen nach § 15a Abs 1 Z 1 und 2 MRG (unter anderem) das Vorhandensein eines Vorraums. Im hier zu beurteilenden Fall führt der Eingang zur Wohnung unmittelbar in die Küche, ein gesonderter Vorraum fehlt. Aufgrund der räumlichen Einheit von Küche und Vorraum wurde das Vorhandensein des Ausstattungsmerkmals Vorraum verneint (vgl RIS-Justiz RS01130135 Ob 173/12w; jüngst 5 Ob 4/20d).

Zur Beurteilung, ob eine konkrete Lage (Wohnumgebung) aufgrund ihrer Eigenschaften als „besser als durchschnittlich“ zu qualifizieren ist, bedarf es eines wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen). In Wien ist als Referenzgebiet für die Beurteilung der Durchschnittlichkeit der Lage eines Hauses nicht regelhaft maximal der jeweilige Gemeindebezirk heranzuziehen, sondern auf jene Teile des Wiener Stadtgebiets abzustellen, die einander nach der Verkehrsauffassung in ihren Bebauungsmerkmalen gleichen und (daher) ein einigermaßen einheitliches Wohngebiet bilden (RS01318125 Ob 74/17v). Als Referenzgebiet für ein im 5. Bezirk gelegenes Haus wurde auf die innerstädtischen Gebiete mit dafür typischer geschlossener mehrgeschossiger Verbauung als Referenzgebiet abgestellt (5 Ob 74/17v), wo die festgestellte Erschließung der Wohnumgebung des Hauses mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dort bestehende Möglichkeiten der Nahversorgung die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage im Sinn des § 16 Abs 4 MRG nicht rechtfertigt. Diese Grundsätze sind auch für die in diesem Fall im 3. Wiener Gemeindebezirk gelegene Wohnung anzuwenden.

Der nur in einem Zimmer verlegte Fischgrätparkettboden war nicht als zuschlagbegründend zu werten. Zu 5 Ob 296/02v ging der Fachsenat davon aus, Fischgrätparkettböden seien in Altbauwohnungen der Ausstattungskategorie A nicht ungewöhnlich, nur bei besonderer Qualität oder Ausführung könne von einer zuschlagsrelevanten Sonderausstattung ausgegangen werden. Eine solche steht hier nicht fest.

Die Beurteilung des zulässigen Mietzinses und damit auch der Berechtigung eines Lagezuschlags ist Rechtsfrage, die vom Richter und nicht vom Sachverständigen zu lösen ist (vgl RS0111105 [T14] zum angemessenen Mietzins). Die Einschätzung des Sachverständigen einer „leicht überdurchschnittlichen Lage“ konnte die Vorinstanzen daher in rechtlicher Hinsicht nicht binden, die vom Gutachter herausgearbeiteten tatsächlichen Kriterien für die Ermittlung des Lagezuschlags einer eigenen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen.

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5 Ob 143/20w – Bei der Abgrenzung zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen ist im Zweifel im Interesse der Rechtssicherheit von (befristeter) Anfechtbarkeit auszugehen

Der Antrag stellende Wohnungseigentümer behauptete, dass der vom Erstgericht festgestellte Beschluss der Wohnungseigentümer im Jahr 2018, bei dem die Mehrheit für den Wechsel der Hausverwaltung per Jahreswechsel gestimmt hatte, welche auch im Grundbuch ersichtlich gemacht worden war, nicht wirksam sei, weil nicht einmal der Anschein eines Mehrheitsbeschlusses vorliege und begehrte die Bestellung eines (vorläufigen) Verwalters iSd § 23 WEG 2002.

Die Bekämpfung der Nichtigkeit eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft hat grundsätzlich im Außerstreitverfahren zu erfolgen (RIS-Justiz RS0117554). Nur dann, wenn nicht einmal der Anschein eines solchen Beschlusses besteht, wäre unheilbare Nichtigkeit anzunehmen – so etwa dann, wenn die Minderheit unter Ausschluss der Mehrheit einen Beschluss fasst (5 Ob 263/03t). Eine absolute Nichtigkeit ist nur bei besonders krassen Verstößen gegen die Rechtsordnung oder die Grundsätze des Wohnungseigentumsrechts denkbar, wobei auf den Anschein eines Mehrheitsbeschlusses abzustellen ist. Fehler bei der Mehrheitsberechnung oder der Stimmauszählung sind nur ein Anfechtungsgrund. In Zweifelsfällen ist zur Erleichterung einer Klarstellung im Außerstreitverfahren Großzügigkeit angebracht: bei der Abgrenzung zwischen nichtigen und anfechtbaren Beschlüssen ist daher im Zweifel im Interesse der Rechtssicherheit für (befristete) Anfechtbarkeit zu entscheiden (RS0118451).

Nach den Feststellungen des Erstgerichts kam es im Jahr 2018 zu einer Beschlussfassung der Wohnungseigentümer über den Wechsel der Hausverwaltung auf die nunmehr bestellte Verwalterin. Auch die erforderliche Mehrheit dafür hatte das Erstgericht festgestellt. Auf Grundlage dieses Beschlusses wurde die Verwalterbestellung im Grundbuch ersichtlich gemacht. Eine Anfechtung dieses Beschlusses der Eigentümergemeinschaft erfolgte bis zum Datum der Sachbeschlussfassung erster Instanz nicht. Die Abberufung des bisherigen und Bestellung des neuen Verwalters sind Angelegenheiten der ordentlichen Verwaltung und daher grundsätzlich einer Beschlussfassung zugänglich. Angesichts dieser Feststellungen zumindest vom Rechtsschein eines Beschlusses auszugehen und die Mit- und Wohnungseigentümer, die dessen wirksames Zustandekommen bestreiten wollen, auf den Anfechtungsweg nach § 24 Abs 6 WEG zu verweisen, ist keine Fehlbeurteilung. Darauf, ob der Beschluss im Haus angeschlagen wurde (was jedenfalls den Rechtsschein einer bereits abgeschlossenen Beschlussfassung auslöst – RS0109645 [T8]), kommt es nicht an.

Dr. Iris Mutz

Wien/Klagenfurt, Dezember 2020

WMWP Rechtsanwälte GmbH