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Wohnrechtliche Judikatur des OGH Newsletter August 2022

Ihre Experten für Miet- und Wohnrecht


Dr. Iris Mutz

Mag. Michael Achleitner LL.M.

Mag. Martin Mutz LL.M.

 

 


Streitiges Recht

3 Ob 36/22y – Mietzinsbefreiung einer Bäckerei-Café-Filiale während der ersten beiden Lockdowns – Betretungsverbot, Umsatzersatz, Fixkostenersatz

Die Mieterin mietete die in einem Fachmarktzentrum gelegene Geschäftsräumlichkeit zum Betrieb als „Bäckerei-Café“. Sie betreibt insgesamt zwölf Bäckerei- und Bäckerei-Café-Filialen in unterschiedlichen Städten Kärntens; diese werden teilweise als reine Bäckereifilialen (ohne Sitzmöglichkeiten zur Konsumation von Speisen) und teilweise mit nahezu reinem Kaffeehausbetrieb betrieben. Zu letzteren zählt auch das Objekt im Fachmarktzentrum der Klägerin. Dort werden etwa 90 % der Umsätze über den Kaffeehausbetrieb und nur rund 10 % durch den Verkauf von Backwaren über den Thekenbereich erzielt. Bei Vertragsabschluss war allen Beteiligten klar, dass eine reine Bäckerei bzw eine überwiegend auf Bäckereiverkauf ausgerichtete Filiale aufgrund des Standorts im Fachmarktzentrum im reinen Gewerbegebiet wirtschaftlich nicht überlebensfähig gewesen wäre. Es war den Parteien daher vollkommen bewusst, dass das Bestandverhältnis primär auf den Betrieb eines Kaffeehauses abstellt, wenngleich anlässlich des Mietvertragsabschlusses auch der Verkauf von Backwaren angesprochen wurde.

In dem Mietvertrag wurde eine Betriebspflicht der Mieterin und für den Fall eines Verstoßes, die Verpflichtung der Mieterin zur Leistung einer Konventionalstrafe in Höhe von drei Bruttomonatsmieten, vereinbart.

Auf der Grundlage des § 1 COVID-19-Maßnahmen-gesetzes (BGBl I 2020/12) wurde mit mehreren Verordnungen des Gesundheitsministers das Betreten (ua) von Gastronomielokalen von 16. März bis 14. Mai 2020 und von 3. November 2020 bis 19. Mai 2021 untersagt. Während sämtlicher „Lockdowns“ war das Betreten des Kundenbereichs (ua) von Betriebsstätten des Lebensmittelhandels gestattet.       Die Beklagte schloss ihre Filiale im Fachmarktzentrum der Klägerin im Zeitraum von 17.03.2020 bis einschließlich 14. 5.2020 und 3.11.2020 bis 18.5.2021 zur Gänze und zahlte die vorgeschriebene Miete nicht. Hintergrund dieser Entscheidung war der Umstand, dass sie die Filiale als Gastronomiebetriebsstätte ansah und daher davon ausging, dass das Öffnen untersagt sei. Der Weiterbetrieb als bloße Bäckereifiliale kam für sie nicht in Frage, weil der Betrieb auf einem einheitlichen Konzept beruhte, das zwingend den Kaffeehausbetrieb voraussetzte.

Das Aufrechterhalten des Betriebs als reiner Backwarenverkauf wäre der Mieterin auch wirtschaftlich unmöglich gewesen, weil es wegen der Lage außerhalb von Wohnvierteln keine Laufkundschaft mit Ausnahme der Kunden der weiteren im Fachmarktzentrum angesiedelten Geschäfte gibt. Dadurch, dass sämtliche weitere im Fachmarktzentrum ansässige Geschäfte mit Ausnahme eines Drogeriemarkts und eines Lagerhauses während der „Lockdowns“ ebenfalls geschlossen hatten, verringerte sich die Kundenfrequenz und damit der mögliche Kundenpool zusätzlich empfindlich. Die Mieterin hätte daher bei Offenhalten des reinen Bäckereiverkaufs mit diesem wesentlich weniger Umsatz erzielt als üblich, dh weniger als 10 % des sonstigen Gesamtumsatzes. Ein Lieferservice bot und bietet die Mieterin an dem Standort nicht an, zumal dieses nicht dem Betriebs- und Bestandzweck entspricht; die Einrichtung eines Lieferservice wäre ihr in kurzer Zeit auch gar nicht möglich gewesen.

Die infolge der COVID-19-Pandemie erlassenen behördlichen Maßnahmen begründen einen außerordentlichen Zufall iSd §§ 1104 f ABGB (3 Ob 78/21y3 Ob 184/21m5 Ob 192/21b8 Ob 131/21d).

Ist der bedungene Gebrauch des Bestandobjekts durch Kundenverkehr gekennzeichnet, so führt ein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie zur gänzlichen Unbenutzbarkeit des Bestandobjekts iSd § 1104 ABGB. Ist die vertragsgemäße charakteristische Nutzung dadurch hingegen nur eingeschränkt, kommt es gemäß § 1105 ABGB zu einer Mietzinsminderung im Umfang der Gebrauchsbeschränkung nach der relativen Berechnungsmethode (3 Ob 184/21m mwN).

Die Unbrauchbarkeit bzw Unbenützbarkeit des Bestandobjekts war – ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck – anhand eines objektiven Maßstabs während der beiden Lockdowns zu bejahen. In diesem Fall wäre der Mieterin auch die Einrichtung eines Lieferservice in kurzer Zeit gar nicht möglich gewesen. Darüber hinaus wäre für die Beklagte mit einem Lieferservice ein nachhaltiges Verlustgeschäft verbunden gewesen wäre, weil, die Mieterin während der „Lockdowns“ sämtliche Bäckereien geöffnet hatten und deshalb für potenzielle Käufer von Bäckereiwaren kein Anlass bestand, diese Produkte nicht in der Nähe ihres Wohnorts zu erwerben, sondern sich – gegen Entgelt, ohne das ein Lieferservice für die Mieterin zwangsläufig unwirtschaftlich gewesen wäre – beliefern zu lassen. Angesichts der Lage des Bestandobjekts im Gewerbegebiet und dem daraus folgenden Fehlen von Laufkundschaft war auch klar, dass ein Betrieb des Geschäftslokals nur für ein „Abholservice“ für Bäckereiwaren (oder auch das Anbieten von Kaffee „to go“) nicht kostendeckend möglich gewesen wäre.

Ein Verstoß gegen die Betriebspflicht lag daher ebenfalls nicht vor.

Der Mieter ist nicht dazu verpflichtet, einen von ihm bezogenen „Fixkostenzuschuss“ an den Vermieter herauszugeben, weil es sich nach der Zielrichtung der Zuschussgewährung um eine Förderung der betroffenen Unternehmer (Bestandnehmer) handelt, um deren Liquidität sicherzustellen, und nicht der Mietzinsentfall der Geschäftsraumvermieter wettgemacht werden soll (3 Ob 184/21m mwN). Dies gilt auch für den Anspruch auf Umsatzersatz (vgl Nemetschke/Koloseus, Umsatzersatz und stellvertretendes Commodum, immolex 2021/95, 202 [204]).

7 Ob 207/21y – Mietzinsbefreiung einer Rechtsanwaltskanzlei während dem ersten Lockdown

Die klagende Vermieterin brachte aufgrund von Mietzinsrückständen Mietzins- und Räumungsklage gegen die Mietende Rechtsanwaltskanzlei ein. Diese machte gegenüber der Klägerin für die Monate März, April, Mai und Juni 2020 eine Mietzinsminderung von 80 % geltend, da die von ihr angebotenen Dienstleistungen von Mitte März bis Mai 2020 aufgrund der Corona-Pandemie um rund 80 % weniger nachgefragt waren. Es gab nahezu keinen Arbeitsanfall. Deshalb traf die Mieterin am 23. März 2020 mit den Mitarbeiterinnen eine Kurzarbeitsvereinbarung mit einer Reduktion der Arbeitszeit um 90 % für die Dauer von drei Monaten, die rückwirkend mit 15. März 2020 bewilligt wurde. Die anfallenden Arbeiten wurden von den Mitarbeiterinnen der Mieterin im Homeoffice erledigt. So wurde etwa das Telefon einmal zu der einen und einmal zu der anderen Mitarbeiterin umgeleitet. Trotz der ständigen telefonischen Erreichbarkeit der Beklagten kontaktierten erst ab Mai 2020 wieder Klienten die Beklagte. Dadurch ergab sich jedoch zunächst nur eine wöchentliche Telefonkonferenz für den Geschäftsführer der Beklagten.

Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass für die Rechtsanwaltskanzlei der Beklagten kein Betretungsverbot aus Anlass der COVID-19-Pandemie bestand (vgl § 2 Z 15 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, BGBl Ⅱ 2020/96, („Schließungsverordnung“), verlängert durch die beiden Verordnungen BGBl Ⅱ 2020/110 und BGBl Ⅱ 2020/151). Das Bestandobjekt konnte demnach vertragsgemäß als Rechtsanwaltskanzlei genutzt werden. Die Kanzlei war zwar im strittigen Zeitraum von den Mandanten der Beklagten nicht besucht und vom Geschäftsführer und seinen beiden Mitarbeiterinnen nur fallweise genutzt worden, dies jedoch nicht aufgrund pandemiebedingter behördlicher Maßnahmen oder Anordnungen, sondern aufgrund der unternehmerischen Entscheidung des Geschäftsführers der Beklagten. Das zentrale Argument der Beklagten war, sie habe die Nutzung des Bestandobjekts deshalb eingeschränkt, weil im hier fraglichen Zeitraum wegen ihrer Tätigkeit als Wirtschaftsanwältin und ihrer konkreten Mandantenstruktur ihre Dienstleistung pandemiebedingt stark reduziert nachgefragt worden sei und beim Geschäftsführer auch kein Bedarf zum „Nacharbeiten“ bestanden habe. Aus diesem Vorbringen ergibt sich schon nicht, dass die Pandemie das Bestandobjekt nicht nur für die Beklagte, sondern in gleicher Weise auch für jeden anderen Mieter in einer vergleichbaren Situation (teilweise) unbrauchbar gemacht hat.  Die Mieterin hatte daher für den Zeitraum von Mitte März bis Mitte Mai 2020 keinen Anspruch auf Mietzinsminderung.

7 Ob 31/22t – Sittenwidrige Kündigung eines Pachtvertrages

Nach ständiger Rechtsprechung gilt § 879 Abs 1 ABGB (Sittenwidrigkeit) nicht nur für Verträge, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfte wie eine Kündigung (RS0016534).

Die Sittenwidrigkeit der Aufkündigung des Pachtvertrags durch den Verpächter wurde in diesem Fall (siehe dazu auch 1 Ob 501/83 = SZ 56/72 = RS001664210 Ob 42/00z) bejaht: Der Bestandgeber habe gewusst, dass die Pächter die Almhütte auf ihre Kosten errichtet hatten und das Bestandobjekt auf die Dauer von 99 Jahren nutzen wollen, dass ihnen sein Vater als Rechtsvorgänger die weiterhin unveränderte Ausübung ihres Pachtrechts zugesagt habe und er selbst kein Problem mit der Nutzung der Hütte durch die Pächter und deren Familie gehabt habe. Der Verpächter habe über alle relevanten Umstände Bescheid gewusst. Die Pächter hätten nicht nur auf eigene Kosten die Holzhütte errichtet, sondern auch dem ersten Bestandgeber als Vorauszahlung den Bestandszins für die gesamte vereinbarte Nutzungsdauer gezahlt.

 

Dr. Iris Mutz

Wien/Klagenfurt, August 2022

WMWP Rechtsanwälte GmbH