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Neue Rechtsprechung des OGH zum Spätrücktritt bei der Lebensversicherung – Nicht jeder Formfehler führt zu einem „ewigen Rücktrittsrecht“

Aufgrund des Urteils des EuGH vom 19.12.2019 über die Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichts Salzburg sowie des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien in den verbundenen Rechtssachen C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 im Zusammenhang mit dem sogenannten Spätrücktritt bei der Lebensversicherung hat der OGH ein (bis zur Entscheidung in diesem Vorabentscheidungsverfahren) unterbrochenes Verfahren fortgesetzt.

Der EuGH hatte in dem genannten Urteil über die Vorabentscheidungsersuchen bewusst wesentliche Fragen – insbesondere betreffend die Verjährung des Anspruches auf Vergütungszinsen, die Form des Rücktrittes sowie den bezughabenden nationalen Rechtsrahmen – für die Beurteilung durch die nationalen Gerichte offen gelassen.

In seiner jüngsten Entscheidung zu GZ 7Ob4/20v vom 10.2.2020 sprach der OGH nun einerseits aus, dass das einem Versicherungsnehmer wegen fehlerhafter Belehrung gegebenenfalls zustehende unbefristete Rücktrittsrecht auch dann noch bestehen kann, wenn die Laufzeit des Versicherungsvertrags beendet ist und der Versicherer dem Versicherungsnehmer auch schon den Ablaufwert ausbezahlt hat.

Für den Fall, dass der Fehler einer Belehrung über das Rücktrittsrecht darin besteht, dass der Versicherer entgegen der bei Vertragsabschluss geltend österreichischen Rechtslage für die Ausübung des Rücktrittsrechts die Schriftform verlangte, dann stellt dies nach Ansicht des OGH jedoch keine relevante Erschwernis für die Wahrnehmung des Rücktrittsrechts dar, welche die unbefristete Ausübung des Rücktrittsrechtes erlauben würde. Die Schriftform steht demnach den europarechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Darüber hinaus ist laut dem OGH die Schriftform eine auch für Verbraucher ohne praktische Hürden wahrnehmbare und faktisch regelmäßig praktizierte Mitteilungsform, welche dem Schutz des Versicherungsnehmers bei der Wahrnehmung seiner Beweispflicht hilft.

Dem Versicherungsnehmer wird somit nach der Ansicht des OGH durch das Verlangen des der Schriftform für die Ausübung seines Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen (ohne Verlangen der Schriftform) auszuüben.

Die Rücktrittsfrist war im gegenständlichen Fall bereits längst abgelaufen, da diese mit dem Zugang der Polizze samt Begleitschreiben im Jahr 1999 zu laufen begonnen hat.

Fragen zur Verjährung von Zinsen im Fall eines berechtigten Rücktritts des Versicherungsnehmers und zur Rückforderbarkeit der Versicherungssteuer haben sich daher in diesem Fall nicht gestellt, sodass diese Fragen noch weiter offen bleiben.